Abgekaufte Fake-Liebe

Ich war kürzlich an einem Abend soeben im Zürcher Hauptbahnhof eingetroffen, als mich eine emotional völlig aufgelöste Frau um die 50 Jahre ansprach. Ob ich nicht ganz kurz Zeit hätte, um für sie mit meiner Identitätskarte bei Western Union einen gewissen Geldbetrag nach Benin zu überweisen. Mir kam die Sache spanisch vor und ich lehnte ab. Weshalb konnte sie die Transaktion nicht mit ihrer eigenen Identitätskarte durchführen? Diese Frage beantwortete sich, als ich die Geschichte ein paar Tage später einer befreundeten Person erzählte, welche bei Western Union arbeitet. Man kenne diese Frau. Als sie am besagten Tag am Schalter erschienen sei, hätten die Angestellten geahnt, dass die Frau einem Betrüger aufgesessen war. Zu ihrem eigenen Schutz habe man sie dann gesperrt. In ihrer Verzweiflung hatte sie dann wohl Passanten gebeten, die Überweisung für sie zu tätigen. Es handelt sich dabei um einen typischen Fall von «Romance Scamming», einer modernen Variante des Heiratsschwindels. Frauen werden online von einer Person kontaktiert, die sich als attraktiver Mann mit beeindruckender Biografie, niedlichem Kind und oft einer bemitleidenswerten Geschichte ausgibt. So passiert letzte Woche, als eine Redaktionskollegin auf der Plattform Instagram von einem vermeintlichen Angehörigen der US-Marine kontaktiert wurde. Die Bilder waren von einem anderen Profil gestohlen. Nachdem die Kollegin die Konversation spasseshalber eine Zeit lang aufrecht hielt, schrieb der betrügerische Verehrer schon kurz darauf: «Ich wünsche mir nichts mehr, als dich bei mir zu haben und dich nie wieder zu verlassen …» Für Menschen mit einem gesunden Selbstbewusstsein ist es unvorstellbar, dass jemand so verzweifelt sein kann, um einem Betrüger diese Liebe abzukaufen und ihm im schlimmsten Fall Geld zu überweisen, um die vermeintliche Reise für ein Treffen oder die Operation seines kranken Kindes zu bezahlen. Bleibt zu wünschen, dass viele Mitarbeiter von Geldinstituten wie im obigen Fall hellhörig werden und den ohnehin gebeutelten Opfern das Schlimmste ersparen.