Abschied von der «Grande Dame» – und der schönsten Radiostimme des Landes

In der englischen Komödie wird der 90. Geburtstag zum «Dinner for One» degradiert. Nur der Butler hebt das Glas. Als Elisabeth Schnell aus gleichem Anlass am 21. Januar – einen Tag vor ihrem Jubiläum – zum feierlichen Empfang ins Zunfthaus zur Schmiden in Zürich lud, war dies ganz anders – und der grosse Saal bestens gefüllt.

«Ich bin gerührt, dass ihr alle wegen mir gekommen seid», sagte die Jubilarin und blinzelte fröhlich durch ihre rote Brille. Schnell war hellwach, humorvoll und charmant wie eh und je. Nur als sie sich für ein Foto vom Sofa erheben musste, sah man ihr das Alter an. Aber Ursula Stacher, ihre ewige Freundin, hielt Schnell stützend am Arm: «Elisabeth wird rasch müde, deshalb müssen wir ihr Sorge tragen», sagte sie liebevoll.

Rückblickend kommen bei allen Gästen wohl wehmütige Erinnerungen an jenen Mittag auf. Denn es war nicht nur eine Geburtstagsfeier; es war für die meisten das letzte Treffen mit der «Grand Dame» des Schweizer Rundfunks – und dies an einem symbolträchtigen Ort.

Tochter eines Zürcher Wirtepaars

Im Zunfthaus zur Schmiden war Elisabeth Schnell als einzige Tochter des Wirtepaars aufgewachsen, hier hatte sie einst durch die grossen Säle getobt, von hier war sie den kurzen Weg zur Primarschule Hirschengraben gegangen. Es war der Anfang einer grossen Karriere. «Elisabeth hat die schönste Stimme des Landes», sagte Radio-Kollege Robert Brendlin.

Bevor Schnell in den 1950er-Jahren bei Radio Beromünster – für einen Stundenlohn von fünf Franken – ihre Premiere als Ansagerin gab, hatte sie die Handelsschule absolviert und die Schauspielschule besucht. Ihr Talent machte sie zu einer gefragten Darstellerin. Wenn sie von ihrer Rolle in «Uli der Knecht» (1954) erzählte, lachte sie herzhaft. Sie habe nicht das liebe Vreneli gespielt, sondern das Annelisi, das «strübschte Meitschi vom Dorf».

Die Laufbahn von Elisabeth Schnell spiegelte auch die Zeitgeschichte. Schnell war es, die am Tag der Ermordung von John F. Kennedy Sprechdienst hatte. Sie war es, die Sendungen wie «Kafichränzli», «Espresso» und «Im Auto durch die Schweiz» kreierte. Und sie erfand mit dem «Nachtexpress» ein Format, das im vergangenen Sommer das 50-Jahr-Jubiläum feierte.

Auf der unlängst erschienenen CD zu ihrem Lebenswerk lassen sich alte Nummern anhören – etwa von der «Automaus Möpsli», die 1974 unter dem Motto «Bi Panne bruuchts kei Manne» einen humoristischen Auto-Reparaturkurs für Frauen anbot.

Wenn Schnell bei einem Glas Rotwein aus ihrem bewegten Leben erzählte, wurde sie nachdenklich. Viele ihrer ehemaligen Weggefährt(inn)en traten vor ihr von der irdischen Bühne ab – so 1982 die Schauspielerin Margrit Rainer, 2004 Autor Hans Gmür und 2010 ihr kongenialer Radio-Partner Ueli Beck. An der Geburtstagsfeier dabei war Becks Sohn Daniel, das Patenkind von Schnell.

Er stellte seiner Gotte ein grossartiges Zeugnis aus: «Ihre Geschenke waren immer top. Einmal erhielt ich ein ferngesteuertes Motorboot – mit der Folge, dass beim Landemanöver Götti Fritz in den Zürichsee fiel.»

Ein Vorbild für unzählige Radiojournalisten

Elisabeth Schnell hörte glücklich zu und freute sich sichtlich, dass auch viele ihrer jüngeren Kolleginnen und Kollegen ihr die Referenz erwiesen: Moderator Beat Antenen, Schauspiel-Kolleginnen Isabelle Schmid und Hanna Scheuring, Schauspieler Erich Vock und dessen Ehemann Hubert Spiess sowie die Radio-Kollegen Charles Clerc, Walter Andreas Müller, Jürg Kauer und Urs Padel, Sohn des ehemaligen Studiodirektors. Sie sagten unisono: «Elisabeth war ein grosses Vorbild.»

Am Ende der würdevollen Feier verabschiedete sie sich Elisabeth Schnell zusammen mit Ursula Stacher ins gemeinsame Ferienhaus in Laupen. Es sollte ein Abschied für immer sein. Am vergangenen Samstag verstummte eine der schönsten Stimmen des Landes für immer.