
Ältere Bewerber krass im Nachteil – doch die Ungleichbehandlung wird von kaum einem Unternehmen eingestanden
Mehr als jedes vierte Unternehmen in der Schweiz diskriminiert Stellensuchende im Alter von über 55 Jahren. Das ist der erschreckende Befund einer Studie, welche die Swiss Life in eigener Regie durchgeführt und am Montag den Medien präsentiert hat.
Studienautor Andreas Christen konfrontierte Geschäftsführerinnen, Geschäftsleitungsmitglieder, Personalchefs und andere Mitarbeitende, welche Personalentscheide treffen können, von insgesamt 740 Firmen unter anderem mit der Frage, ob diese grundsätzlich bereit wären über 55-jährige Bewerber einzustellen. 5 Prozent gaben ein kategorisches «Nein» und 23 Prozent ein «eher nicht» zur Antwort. Christen selbst zeigte sich in einer Telefonkonferenz mit Medienschaffenden überrascht von dieser hohen Zurückweisungsrate auf die vom Autor selbst als «theoretisch» beschriebene Fragestellung.
Unterentwickeltes Problembewusstsein
Zwar ist die Diskriminierung von Bewerberinnen und Bewerbern aufgrund des Alters im Schweizer Arbeitsgesetz nicht ausdrücklich verboten. Doch kaum ein Unternehmen würde es wagen, eine solche Ungleichbehandlung öffentlich einzugestehen. Die Antworten zeugten von einem unterentwickelten Problembewusstsein, vermutet Christen und verweist auf den vielbeschworenen Fachkräftemangel, der die Wirtschaft auch im Urteil der Spitzenverbände in den kommenden Jahren erheblich bremsen könnte. Jedenfalls ist die Bereitschaft, ältere Leute einzustellen, nicht sehr gross.
Trotz einer eklatanten Bevorzugung jüngerer Bewerberinnen und Bewerber sind 63 Prozent der befragten Unternehmen gleichzeitig der Auffassung, dass die Arbeitnehmenden grundsätzlich gut in der Lage wären, ein bis zwei Jahre über das ordentliche Rentenalter hinaus weiterzuarbeiten.
Ein erster, eher oberflächlicher Blick in die Befunde der Swiss-Life-Studie vermittelt den Eindruck, als habe sich die Lage der über 55-Jährigen im Schweizer Arbeitsmarkt verbessert. In der Altersgruppe 55 bis 64 sind derzeit 73 Prozent erwerbstätig – und damit immerhin rund zehn Prozent mehr als noch 2010. Viele Ältere fühlen sich gemäss Swiss-Life-Befragung wertgeschätzt und sind zufrieden. Das Risiko einer Entlassung nimmt im Alter sogar ab.
Doch jene, die den Job verlieren, bekunden mehr Probleme, den Weg zurück in den Arbeitsmarkt zu finden. Das gilt in hohem Mass für Arbeitnehmende mit geringen beruflichen Qualifikationen, aber auch für Menschen mit einem Lehrabschluss, und sogar Absolventinnen und Absolventen einer höheren Ausbildung sind zunehmend von Arbeitslosigkeit im Vorrentenalter betroffen.
Probleme für eine Reform der Altersvorsorge
Vor diesem Hintergrund haben es Vorschläge zur Reform der Altersvorsorge schwer. Nach dem Scheitern der Vorsorgereform 2020 arbeitet das Parlament nun an zwei unabhängigen Revisionen zur AHV und zur beruflichen Vorsorge. In beiden hätte das Rentenalter für alle auf 65 erhöht werden sollen. Die Stimmen von Seiten der SVP, FDP und GLP, die vor nicht allzu langer Zeit für eine Erhöhung des Rentenalters auf 67 geworben haben, sind leiser geworden.
Nur die Jungfreisinnigen wagen den Kampf: Mit ihrer Volksinitiative wollen sie zuerst das Rentenalter schrittweise für alle auf 66 Jahre erhöhen und dann an die Lebenserwartung knüpfen. Steigt diese, würde auch das Rentenalter angehoben. Dann muss nur noch die Bereitschaft steigen, ältere Arbeitnehmende auch einstellen zu wollen.