Aldi-Filialleiterin wegen Verstoss gegen Covid-19-Verordnung angeklagt: Muss sie 10’000 Franken zahlen?

Ihr würde nie in den Sinn kommen, gegen die staatlich verordneten Massnahmen der Corona-Verordnung zu verstossen, sagte Sabine (Name von der Redaktion geändert) vor dem Badener Bezirksgericht. Trotzdem sah sich die 43-jährige Deutsche, die sich nie etwas zuschulden kommen liess, nun Einzelrichter Daniel Peyer gegenübersitzen − wegen Verstosses gegen die Covid-19-Verordnung 2. Eine bedingte Geldstrafe von 6’900 Franken, eine Busse von 1’700 Franken, 800 Franken Strafbefehlsgebühr und 51 Franken Polizeikosten lagen auf dem Tisch. Was war passiert?

Sabine leitet eine Aldi-Filiale im Bezirk Baden, ist also unter anderem für Warenbestellungen zuständig. Als sich das Coronavirus in Europa ausbreitete und auch der Bundesrat in der Schweiz mit einem Lockdown reagierte, wurde die Lage unübersichtlich. Detailhändler galten zwar als «systemrelevant» und sollten die Versorgung mit Lebensmitteln und «Gegenständen des täglichen Bedarfs» sicherstellen. Aber was deckt den «täglichen Bedarf»? Zu Beginn des Lockdowns wurde fast die komplette Nonfood-Abteilung in ihrer Filiale mit grossen Plastik-Planen abgedeckt, erinnert sich Sabine. Somit galten sie «aus dem Verkauf genommen».

Schwierig wurde die Situation, als Ende April die ersten Lockerungen des Lockdowns verkündet wurden, als Baumärkte und Gartengeschäfte wieder öffnen durften. Verschiedene Detailhändler hätten diese Vorgaben zum Teil sehr unterschiedlich ein- und umgesetzt, erzählt Sabine. «Es war ein heilloses Durcheinander. Fast jeden Tag kamen E-Mails der Zentrale. Durch diese Informationsflut musste man sich hindurchkämpfen», sagt die Filialleiterin. Denn die Zentrale, womit die Regionalverkaufsleitung gemeint ist, hatte damals zu jeder Zeit das Sagen, welches Sortiment in den einzelnen Filialen feilgeboten wird.

Extra bei der Regionalverkaufsleitung rückversichert

Als die Baumärkte und Gartengeschäfte wieder öffnen durften, wertete das Aldi Suisse so, dass auch ihre Filialen wieder Gartenzubehör, Küchenelektronik, Werkzeug sowie Fahrradhelme ins Sortiment aufnehmen dürften. Als sie diese Mitteilung las, habe sich Sabine extra bei der Regionalverkaufsleitung rückversichert, dass sie die Planen bei diesen Gegenständen wirklich entfernen sollte, schilderte sie.

Keine zwei Stunden später standen zwei Kantonspolizisten in der Filiale. «Ich bin offen auf die Beamten zugegangen, aber sie waren recht verärgert. Natürlich habe ich die entsprechenden Artikel sofort wieder abdecken lassen», erzählt Sabine. Gemeinsam mit der Regionalverkaufsleiterin, die ebenfalls vor Ort war, versuchte sie, mit den Beamten ins Gespräch zu kommen.

Pech mit den Polizisten − aber Glück mit dem Richter

«Keine Chance. Sie waren überzeugt, dass sie das zur Anzeige bringen», erzählt Sabine. Im Nachhinein erfuhr sie, dass an diesem Tag fast razziagleich in Aldi-Filialen Kontrollen durchgeführt wurden. Alleine im Aargau mussten sich zwei weitere Filialleiter wegen desselben Vorwurfs vor Gericht verantworten. In anderen Filialen seien die Polizisten «nicht so straight vorgegangen», hätten ein Ultimatum zur Abdeckung der Ware gesetzt und von einer Anzeige abgesehen.

Sabine hatte Pech mit den Polizisten − aber Glück mit dem Richter. Daniel Peyer zeigte sich verständnisvoll für die Situation, bezeichnete sie selbst als «aussergewöhnlich». Er folgte der Argumentation von Rechtsanwalt Michel Verde und sprach Sabine von jeglicher Schuld frei. Verde hatte hervorgehoben, dass aufgrund des schwammigen Begriffs des «täglichen Begriffs» keine Bussen verteilt werden können. «Der Bundesrat ist nicht befugt, solche Bussen zu bestimmen. Für eine solche Strafe fehlte die Rechtsgrundlage», so Richter Peyer.