Alleine sein bedeutet nicht einsam sein

Es ist Montagmorgen, kurz nach 9 Uhr. Redaktionssitzung mit Social Distancing. Öh-öh-öh! Ein kleiner Hustenanfall, natürlich in die Armbeuge, nichts Besonderes, denke ich mir. «Melek, husten ist ab sofort verboten», mahnt mich mein Chef mit skeptischem Blick. «Wenn ich schon nicht fliegen darf, dann darf ich wenigstens ein bisschen husten», entgegne ich ihm grinsend und spiele auf meine Ferien an, die ich aufgrund der sich zuspitzenden Corona-Lage schweren Herzens am Freitag abgesagt habe. Nicht dass ich Angst vor dem Virus gehabt hätte; es war vielmehr der Gedanke, nicht mehr nach Hause zurückfliegen zu dürfen, der mir Kopfzerbrechen bereitete. Das ist nun gut sechs Wochen her.

So traurig es mich auch machte, meine Reise abzusagen, weiss ich heute: Es war die richtige Entscheidung. Wie sich herausstellen sollte, hatte sich Covid-19 wenige Tage vor meinem geplanten Flug in meinen Körper geschlichen; das Virus wartete nur noch auf seinen grossen Auftritt.

Noch am selben Montag, so gegen 17 Uhr, ein Anruf. Die Stimme am anderen Ende klingt aufgeregt. Ich wiederhole in meinem Kopf, was die Person am anderen Ende sagt: «Gleich mehrere aus unserer Gruppe sind krank geworden. Jemand musste sogar ins Spital und wurde auf Corona getestet.»

Ich kann nicht mehr klar denken – als hätte jemand die Pausetaste gedrückt. Als ich mich wieder gefasst habe, gibts nur eines: Ab in die Quarantäne!

Und dann kams, wie es kommen musste: das neue Corona-Virus nutzte seinen Auftritt ausgiebig. Fast drei Wochen kämpfte ich in Isolation dagegen an –  zum Glück mit Erfolg.

Gelernt habe ich so einiges in den vergangenen Wochen. Zum Beispiel, dass es sehr schwierig ist, herauszufinden, ob ein Lebensmittel verdorben ist, wenn weder Geruchs- noch Geschmackssinn funktioniert, oder dass ich nicht unbedingt ins Fitnesscenter muss, um mich zu bewegen – wie schön doch die Natur ist! Oder auch dass ich nicht ständig einkaufen gehen muss, um nicht zu verhungern.

Inzwischen komme ich auch gut damit aus, dass ich schon länger nicht zum Coiffeur, zur Kosmetik oder zum Nageldesigner gehen durfte. Mit ein bisschen Improvisation sieht auch der Quarantäne-Look ganz okay aus.

Aber das Wichtigste, was ich gelernt habe, ist, dass alleine sein nicht gleichbedeutend ist mit einsam sein. In der Zeit, in der ich in Isolation war, lief mein Handy heiss. Nachrichten, Anrufe und Videocalls, von Menschen, von denen ich engen Kontakt gewohnt bin, aber auch von Personen, von denen ich es nicht erwartet hätte, dass sie sich um mich sorgen. Das war Balsam für meine Seele, gab mir Kraft in dieser schwierigen Zeit.

Mir wurde bewusst, dass alleine sein nichts Schlechtes sein muss. Es bringt einen dazu, sich mit sich selber auseinanderzusetzen und neu kennen zu lernen. Ich habe diese Zeit genutzt, um zur Ruhe zu kommen und meinen Fokus neu zu richten. Das entschleunigte Leben gefällt mir inzwischen ganz gut.

Und doch fehlt mir eines: der persönliche Kontakt zu meinen Liebsten. Mehr denn je weiss ich, wie wichtig und schön es ist, sie um mich zu haben, sie zu umarmen, zu küssen und zusammen mit ihnen Zeit zu verbringen.

Das ist es, worauf ich mich am meisten freue, wenn sich die Lage wieder beruhigt hat. Das – und der Flug, den ich buchen werde, sobald ich wieder fliegen darf …