Alt-Stadtammann Willy Loretan: Nur Bundesrat war er nie

Willy Loretan (FDP) amtete während 20 Jahren als National- und Ständerat in Bundesbern. Das Bild wurde am 17. Juni 1998 im Ständerat aufgenommen. key
Willy Loretan (FDP) amtete während 20 Jahren als National- und Ständerat in Bundesbern. Das Bild wurde am 17. Juni 1998 im Ständerat aufgenommen. key
Ständerat Willy Loretan kämpfte 1993 an vorderster Front gegen Jo Lang (r.) und seine GSoA-Initiative «Für eine Schweiz ohne neue Kampfflugzeuge». Key
Ständerat Willy Loretan kämpfte 1993 an vorderster Front gegen Jo Lang (r.) und seine GSoA-Initiative «Für eine Schweiz ohne neue Kampfflugzeuge». Key

SERIE

Im Rahmen der Serie «Was macht eigentlich …?» haben Redaktorinnen und Redaktoren dieser Zeitung mit Menschen gesprochen, die Schlagzeilen gemacht haben. Wir fragen nach, was sie heute machen – und schwelgen mit ihnen in Erinnerungen.

Willy Loretan sitzt im Restaurant Rathaus in Zofingen. Vor sich einen Stapel Zeitungen und daneben eine Tasse Café. Das dazugehörende Chrömli hat er beiseitegelegt. «Ich bin süss genug», sagt er mit einem breiten Grinsen. Bis zu vier Stunden pro Tag verbringt er mit Lesen. Nebst dem «Tagblatt», der «NZZ» und dem «Walliser Boten» gehört auch der englischsprachige «Economist» mit den Schwerpunkten internationale Politik und Weltwirtschaft dazu. Auch mit bald 85 Jahren ist Willy Loretan immer noch sehr am Weltgeschehen interessiert. «Ich will wissen, was auf der Welt vor sich geht.»

Bevor der rüstige Rentner über seinen Alltag spricht, erzählt er, was er heute nicht mehr macht. «Aus der Politik habe ich mich 2001 zurückgezogen, als ich mein letztes Amt, das des Präsidenten des Schweizerischen Zivilschutzverbands abgab», sagt der Jurist mit Doktortitel.

Die Politik diktierte während über 30 Jahren einen grossen Teil seines Lebens. 1966, im Alter von 32 Jahren, startete er seine politische Karriere mit der Wahl in den Zofinger Einwohnerrat. Bereits drei Jahre später schaffte er den Sprung in den Grossen Rat des Kantons Aargau, in dem er bis 1981 wirkte, unter anderem auch als Fraktionspräsident der FDP. Von 1974 bis 1992 stand er der Stadt Zofingen als Ammann vor. 1979 wurde er in den Nationalrat gewählt, 1991 folgte der Sprung ins «Stöckli», wie der Ständerat auch genannt wird. Acht Jahre später zog er sich aus der Politik zurück und führte sein Anwaltsbüro bis 2009 weiter. Loretan präsidierte von 1982 bis 1992 die Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz und von 1996 bis 2001 den Schweizerischen Zivilschutzverband. Auf die Frage, ob er nie Bundesrat werden wollte, sagt er: «Das war für mich nie eine Option.»

Familie kam oft zu kurz

Langweilig wurde es Willy Loretan ohne Politik aber nie. Endlich hatte er Zeit, sich seiner Familie zu widmen. «Die musste zuvor oft hinten anstehen, zu oft», blickt er zurück. Zusammen mit seiner Frau Annemarie, aber auch mit den zwei erwachsenen Kindern und Enkelkindern unternahm er nun viele Reisen im In- und Ausland. Als seine geliebte Frau 2010 schwer erkrankte, betreute er sie zu Hause bis zu ihrem Tod. «Sie fehlt mir sehr», sagt Loretan mit leiser Stimme.

Als Sohn des Postverwalters absolvierte er alle Schulen in Zofingen, bevor er an der Alten Kantonsschule in Aarau die Matura absolvierte. «Anfänglich wollte ich Gymnasiallehrer werden», sagt Loretan. «Der Berufsberater sah in mir aber eher einen Juristen.» Und so erstaunt es wenig, dass er von 1954 bis 1960 – mit militärisch bedingten Unterbrüchen – an den Universitäten Lausanne und Zürich Recht studierte.

Obwohl er anfänglich gegenüber der Rekrutenschule kritisch eingestellt war, brachte er es in der Schweizer Armee bis in den Rang eines Obersten.

Seine grosse Leidenschaft war aber die «Juristerei». Nachdem er 1961 doktorierte, arbeitete er als Gerichtsschreiber am Bezirksgericht Zofingen. 1964 machte Loretan das Rechtsanwaltspatent und wechselte zur Kantonsverwaltung, wo er im Baudepartement als juristischer Adjunkt tätig war. Von 1966 bis 1973 präsidierte er das Zofinger Bezirksgericht. «Ja, ich habe schon einiges erlebt», blickt Loretan zurück, «und sehr vieles davon würde ich wieder gleich machen.»

Eines seiner Hobbys war das 300-Meter-Schiessen, in der Politik begleitet vom Einsatz für das ausserdienstliche Schiesswesen. «Klar ist», sagt Willy Loretan und jetzt wird es politisch, «dass ich die Vorlage vom 19. Mai ‹Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie› ablehne.»

Das Alter empfindet er bisher gar nicht als Last: «Ich habe das Glück, bei recht guter Gesundheit zu sein.» Er geniesse es, zeitlich nicht eingeschränkt zu sein und seinen vielen Interessen nachgehen zu können. Er liest nebst Zeitungen auch gerne fremdsprachige und historische Literatur, besucht Latein- und Griechisch-Lesezirkel und ist gerne – früher als Reiseleiter, heute als Teilnehmer – mit der Schweizerischen Gesellschaft für militärhistorische Studienreisen unterwegs.

Andere Meinungen akzeptieren

Mit grossem Engagement setzt er sich seit geraumer Zeit auch im kulturellen Bereich ein. Im Vorstand von «Soland Chorkunst» hilft er unter anderem auch für die Anwerbung von Neumitgliedern mit. «Da sind meine vielen Beziehungen sicherlich nicht hinderlich», sagt er mit einem Augenzwinkern.

Den Austausch mit Freunden und Kameraden pflegt er regelmässig an den Stammtischen des Unteroffiziersvereins, der Schützengesellschaft, bei den Altzofingern oder im Restaurant Rathaus, wo jeden Montagmorgen über das Sportgeschehen vom Wochenende diskutiert wird. Als treuer YB-Fan geniesst er den momentanen Höhenflug seines Vereins. Er steht auch regelmässig im Kontakt mit Sohn und Tochter sowie den vier Enkelkindern. Mit ihnen diskutiert er gerne über alle möglichen Themen, auch über Politik. «Die Ansichten der Jugend, ihre Einstellungen und Werte interessieren mich, auch wenn ich nicht immer alles nachvollziehen kann», sagt Loretan. «Wichtig ist, dass man andere Meinungen akzeptieren kann.»