Andreas Flückiger: «2021 ist für alle Landwirte ein enorm schwieriges Jahr gewesen»

Mit einer Verspätung von drei bis vier Wochen nahm der Vordemwalder Mostereibetrieb von Andreas Flückiger seinen ersten Mosttag in Angriff. Das schlechte Wetter hat die Äpfel später reifen lassen – und auch der Ertrag dürfte deutlich geringer ausfallen als üblich.

Flückiger zieht tief Luft ein, nickt und sagt dann anerkennend: «Es schmeckt gut». «Es» – das ist der Duft des ersten Süssmosts, den er dieses Jahr presst. Als er kurz darauf mit seinem Helfer Sepp Gut eine Kostprobe nimmt, sieht er seinen ersten Eindruck bestätigt: «Der Süssmost hat eine schöne Farbe, schmeckt gut, ist vielleicht etwas herb.»

Vom «Mostfritzli» zur grossen Zweibandpresse

Der 67-jährige Flückiger ist Moster aus Leidenschaft. Er hat sich nach einer Lehre als Mechaniker zum Landwirt mit Fähigkeitsausweis ausbilden lassen, ist danach aber wieder in seinen angestammten Beruf zurückgekehrt. Mitte der 1980er-Jahre entdeckte Flückiger erstmals die Freude am Obstmosten, als er die reiche Apfelernte aus seinem Garten bei einem Kollegen zu Süssmost verarbeiten konnte. Daraus wurde schon bald Leidenschaft und Nebenerwerb. 1987 erwarb er eine erste kleine, handbetriebene Obstpresse. «Das war ein sogenannter ‹Mostfritzli›, mit dem man pro Gang rund 20 Liter Süssmost pressen konnte», erinnert sich Flückiger. Die Menge, die er in seinen ersten Jahren produzierte, war bescheiden: 200 bis 300 Liter pro Jahr.

 

Martin Gaberthüel und sein Sohn Noah kippen die ersten Äpfel ins Silo.
Martin Gaberthüel und sein Sohn Noah kippen die ersten Äpfel ins Silo.

 

Mit der Anschaffung einer hydraulischen Packpresse konnte Flückiger seinen Kundenkreis ab 1989 vergrössern. «Richtig ‹obsi› ging es mit der Mosterei ab 1997», erzählt er, «mit der Anschaffung einer grossen Zweibandpresse und einer Abfüllanlage sowie dem Bau einer Halle.» Seit dann ist der Vordemwalder Mostereibetrieb in der Lage, 2000 Liter Most pro Stunde herzustellen. Mit gewaltigen Schwankungen von Jahr zu Jahr allerdings. So sei 2019 mit der Produktion von rund 16 000 Liter Süssmost ein sehr schlechtes Jahr gewesen, 2020 hingegen habe er ein Mehrfaches davon gepresst, sagt Flückiger. Im bisherigen Rekordjahr seien es gegen 100 000 Liter gewesen. Eine gewaltige Menge, wenn man bedenkt, dass 1,3 bis 1,5 Kilogramm Äpfel für einen Liter Süssmost gepresst werden müssen.

Rekordmengen erwartet Flückiger dieses Jahr nicht. Grundsätzlich lasse sich sagen, dass die Äpfel 2021 eher spät geerntet würden. In guten Jahren beginne er Mitte/Ende August mit dem Mosten, dieses Jahr drei bis vier Wochen später. Als die Apfelbäume in der Region blühten war es zu nass und zu kalt, im Sommer war es ebenfalls zu nass und es hatte zu wenig Sonne, was den Ausbruch von Pilzkrankheiten begünstigt habe – «2021 ist für alle Landwirte ein enorm schwieriges Jahr gewesen», betont Flückiger. Er würde sogar behaupten, dass eine derartige Wettersituation vor 100 Jahren, als die Nahrungsmittel noch weitgehend im eigenen Land produziert wurden, eine Hungersnot ausgelöst hätte.

Eine Schätzung der diesjährigen Mostobsternte, die der Schweizer Obstverband Anfang August über die kantonalen Meldestellen erstellen liess, bestätigt Flückigers Einschätzungen. Demnach würden die gewerblichen Mostereien in diesem Jahr zwischen 55 000 und 65 000 Tonnen Mostobst erwarten, womit die erwartete Gesamterntemente rund einen Drittel unter der Ernte des letzten Jahres liegen würde. Weil aber der Vorrat an Konzentrat noch immer mehr als einen Jahresbedarf abdecke, sei die Versorgung mit erstklassigem Schweizer Obstsaft trotzdem sichergestellt, liess der Obstverband weiter verlauten.

Besser schätzt der Obstverband die Situation beim Tafelkernobst ein. Er rechnet bei den Tafeläpfeln bei einer Menge von 120 000 Tonnen mit einer praktisch gleich grossen Ernte wie im Vorjahr, während bei den Tafelbirnen eine rund 20 Prozent geringere Ausbeute als im Vorjahr erwartet wird. Allerdings sind grosse regionale Unterschiede auszumachen. Während die Ostschweiz leicht unter Vorjahr liegt, kommen aus dem Wallis und dem Genferseegebiet deutlich mehr Äpfel als 2020. Dafür sind die Erntemengen in der Zentralschweiz und Bern wegen Frost und Hagel deutlich geringer als im Vorjahr.

Apfelernte dürfte in der Region kleiner ausfallen

Auch die Region war von den Wetterkapriolen dieses Jahr stark betroffen. «Ich habe dieses Jahr wenig Äpfel», sagt Martin Gaberthüel aus Küngoldingen, der mit Sohn Noah die ersten Äpfel zum Mosten nach Vordemwald anlieferte. Gaberthüel betreibt seinen Hof im Nebenerwerb, ist vorwiegend im Ackerbau tätig. Daneben hat er rund 70 Hochstammbäume, die er regelmässig pflegt, aber nicht spritzt. Gaberthüel ist trotzdem zufrieden mit dem Ertrag. «Wir haben heute eine Schulklasse auf dem Hof zu Gast – das reicht dann gut fürs Znüni», sagt er.

Auch Monika Schwaninger-­Roth, die in Küngoldingen einen privaten Baumgarten mit zehn Bäumen besitzt, räumt ein, dass der Ertrag dieses Jahr sehr gering sei. «Dafür ist das Obst sehr schön», betont sie.

Auch eher durchzogen tönt es bei Claudia Moor, die zusammen mit ihrem Mann Martin den Hof auf dem Rümlisberg führt. Mit einer Fläche von rund einer Hektare ist der Apfelanbau ein wichtiger Betriebszweig. «Es hat Äpfel, aber deutlich weniger als im Vorjahr», sagt Claudia Moor. Zudem hätten viele Äpfel Schorf, was den Verkauf als Tafelobst erschwere, betont sie.

Nach rund einer Stunde ist der erste Mosttag bereits Vergangenheit, das wenige Obst der vier Kunden ist bereits zu rund 200 Litern Süssmost verarbeitet. «Kein Vergleich zum absoluten Rekordtag», sagt Flückiger, der genau Buch führt. 2010 verarbeiteten er und sein Nachbar Hans-Ruedi Burkhalter an einem einzigen Tag 9400 Liter Süssmost. «Hans-Ruedi erzählt heute noch», sagt Flückiger lachend, «dass er die ganze Nacht von Äpfeln geträumt habe, die auf ihn zupurzelten.»

Pasteurisieren muss Flückiger am Samstag nicht. Es ist schlicht zu wenig Süssmost da. Was gepresst wurde, wird frisch getrunken. Süssmost hält sich – gut gekühlt – rund drei bis vier Tage. Dann setzt die Gärung ein. Ein Vorgang, bei dem Zucker von den Hefen, die bereits im Apfelsaft vorhanden sind, zu Alkohol umgewandelt wird.

Ins Wasserbad: Ein guter Süssmost braucht saubere Äpfel.
Ins Wasserbad: Ein guter Süssmost braucht saubere Äpfel.