
Anwalt: «Auf dem richtigen Weg, aber noch nicht am Ziel»
«Charakterlose Aargauer Autofahrer»: Unter diesem Titel berichtete das juristische Magazin «Plädoyer» im Mai 2017 über die Praxis des kantonalen Strassenverkehrsamtes bei Fahrausweisentzügen. Damals zeigte die Statistik der Administrativmassnahmen (Admas) des Bundes: Im Aargau mussten Autolenker das «Billett» überdurchschnittlich oft wegen charakterlicher oder psychischer Nichteignung abgeben. In diesen beiden Kategorien entfielen zwischen 40 und 50 Prozent aller Ausweisentzüge auf Aargauer Autofahrer. Besonders hoch waren die Zahlen im Jahr 2015: Von schweizweit 1156 Ausweisentzügen aufgrund von Charakterproblemen entfielen 653 oder 58 Prozent auf den Aargau. Bei den Entzügen wegen psychischer Nichteignung lag der Anteil des Aargaus mit 289 von 602 Fällen bei 48 Prozent.
Bundesgericht rügt Aargau
Im Juni 2017 fällte das Bundesgericht ein Urteil, das für heftige Diskussionen sorgte. Die Richter in Lausanne kamen zum Schluss, die Aargauer Behörden hätten einen stark betrunkenen Fussgänger zu Unrecht zum Verkehrspsychiater geschickt. Zwar sei der gemessene Alkoholwert von 2,3 Promille hoch gewesen, dennoch ging das Bundesgericht davon aus, dass es sich beim Rauschtrinken um ein isoliertes Ereignis handelte, das keinen Bezug zum Strassenverkehr hat. Rechtsanwalt Willy Bolliger, der regelmässig Betroffene von Ausweisentzügen vertritt und den Artikel im «Plädoyer» verfasste, sah sich in seiner Meinung bestätigt, dass der Aargau gegenüber Autolenkern eine besonders harte Linie fahre.
Dass sich die Zahl der Autofahrer, die ihren Ausweis wegen psychischer oder charakterlicher Nichteignung abgeben müssen, stark reduziert hat, ist für Bolliger erfreulich. «Das Strassenverkehrsamt ist damit auf dem richtigen Weg, aber noch nicht am Ziel», sagt der Rechtsanwalt. Plausibel erklären könne er sich den massiven Rückgang der Zahlen im vergangenen Jahr nicht. Solange nicht alle Kantone die Gründe für die Ausweisentzüge nach den gleichen Kriterien ausweisen, sei eine Interpretation schwierig. «Ich würde mir hier eine Vereinheitlichung wünschen, damit die Angaben vergleichbarer werden», sagt Verkehrsanwalt Bolliger.
Nicht mehr Hardliner-Kanton