
Argovia Philharmonic: Abschiedskonzert mit «Best of Bostock»
Es war nicht eine Ablösung wie in Joseph Haydns sogenannter Abschiedssinfonie, wo die Instrumente eines nach dem anderen allmählich mit dem Spielen aufhören, sondern hier verlässt der Dirigent nach 18 Jahren prägender Leitung das Orchester mit einem packenden Programm: Nicht wie erwartet werden konnte mit Klassikern des Festlandes, sondern mit typischen Beispielen neuzeitlicher englischen Musik zwischen 1872 und 2008. Gemeinsam ist ihnen der Umgang mit einer Vielfalt an wechselvollen Klangfarben, die ständig andere Stimmungsbilder ausmalen. Die «Argovia Philharmonic» ging damit mit einer schier unglaublichen Präzision und Beweglichkeit um, jede Eingebung des Dirigenten punktgenau aufnehmend und sinngemäss vollziehend. Das war das Besondere an diesem Konzert und Programm: die Einheit zwischen Dirigent und Orchester in der Auslegung und Feinabstimmung in den aufgeführten Werken. Dazu kommen die Entdeckung und das Erlebnis von Musik, die hier kaum bekannt ist.
Meeresstille und stürmische Fahrt
Den Anfang machte «The Sea», eine Suite von Frank Bridge (1879–1941). Man kann sie als Huldigung an das Meer bezeichnen. Die vier Sätze beschreiben bildhaft die wechselhaften Eigenschaften des Meeres. In «Seacape» (Meereslandschaft) ist es ein Sommermorgen am Meer, wo eine grosse Wasserfläche im Sonnenlicht schimmert, die Streicher markieren eine aufkommende Brise, die langsam anschwillt und eine Ahnung von der im Meer schlummernden Naturkraft vermittelt. In «Seafoam» (Meerschaum) ist durch kurze Holzbläsersoli das Tanzen der Wellen an den Felsenklippen des britischen Festlandes herauszuhören und im dritten Satz «Moonlight» sorgen die Bratschen für eine ruhige und lyrische Stimmung. Diese verwandelt sich im vierten Satz in einen Sturm, wo die Bläser stürmische Brecher über die wogenden Wellen der Streicher peitschen. Langsam legt sich der Sturm und kehrt zum ruhigen Stimmungsbild des ersten Satzes zurück.
Seltene Erscheinung
Alun Hoddinott (1929–2008) komponierte 2002 ein Konzert für Euphonium mit dem Titel «The Sunne Rising, The King will Ride». Der Solist Steven Mead machte damit einen Parkour durch die Möglichkeiten des Euphoniums, das eigentlich wegen seiner tiefen Stimmlage nicht besonders dazu geeignet scheint. Das Stück basiert auf einem Gedicht aus dem Jahr 1633, wo sich ein Liebespaar an der blendenden Sonne stört. Das muss eine Gluthitze von unbeschränktem Ausmass ausgelöst haben, worin lyrische Partien mit treibender Energie wechseln. Der ruhige Eröffnungssatz beschreibt in steigenden Tonfolgenden den Sonnenaufgang. Dem folgt in rasendem Tempo die hitzige Jagd des Königs. Im anschliessenden «Andante» kehrt Beruhigung ein, allerdings mit dem Einsatz von einer Vielzahl an Perkussionsinstrumenten versehen. Das folgende «Allegretto» verbreitet dann wieder Spannung. Das Orchester leitete danach im «Andante» zur Solokadenz des Euphoniums über, die mit allem an Virtuosität gespickt war und in einem fulminanten Finale endete. Das Publikum geriet darob fast aus dem Häuschen und spendete brausenden Beifall.
Schlagadern einer Metropole
Wer nun der Ansicht war, damit sei der Höhepunkt des Konzertes erreicht, irrte sich. Er stand noch bevor in «A London Symphonie» von Ralph Vaughan Williams (1872–1958). Er beschreibt darin das Treiben in einer Grossstadt. Schon mit dem Erwachen am Morgen kündigt sich im ersten Satz das pulsieren Leben an. Klarinette und Harfe lassen den bekannten Glockenschlag der Westminster Abbey in London erklingen. Das langsam «Lento» lässt vorübergehend Ruhe einkehren, in die sich das Englischhorn und die Bratsche mit Melodik und das Horn mit einem Signal einmischen. Das «Nocturne» illustriert die unterschiedliche nächtliche Atmosphäre an den beiden Themseufern. Der letzte Satz enthält einen Trauermarsch, gefolgt von einem energischen Gegenstück. Langsam verstummt die Musik und lässt künftige Spannungen in der Weltstadt London offen. Das Publikum war sich indes eines fantastischen Musikerlebnisses bewusst geworden und bedankte sich mit langem Applaus.