
«Auch in der Schweiz besteht das Risiko einer E-Zigaretten-Epidemie unter Jugendlichen»
Fünfzehn Expertinnen und Experten beraten den Bundesrat seit 1998 in Fragen der Tabakpräventionspolitik. Bald ist Schluss damit. Die Landesregierung beendet die Tätigkeit der Kommission für Tabakprävention per Ende Jahr. Ab 2020 ist die neue Kommission «für Fragen zu Sucht und Prävention nicht übertragbarer Krankheiten» für alle süchtig machenden Substanzen verantwortlich. Das Gremium wird auch die Problematik von elektronischen Zigaretten thematisieren müssen. In den USA sprechen die Behörden mittlerweile von einer Epidemie unter Jugendlichen.
Jedes Jahr verlieren in der Schweiz 9500 Menschen ihr Leben als Folge des Rauchens. Nun löst der Bundesrat die Expertenkommission für Tabakprävention auf. Ihre Reaktion als Präsidentin des Gremiums?
Lucrezia Meier-Schatz: Wir akzeptieren den Entscheid, befürchten jedoch, dass die Position der Tabakprävention geschwächt wird. Die neu geschaffene Kommission für Suchtfragen wird neben der Tabak-, auch die Alkohol- und Drogenprävention verantworten, obwohl sich die Ansätze in diesen Bereichen stark unterscheiden.
Nimmt der Bundesrat das Thema Tabak zu wenig ernst?
Leider ja. Die Landesregierung hat bis heute keine überdepartementale Strategie im Umgang mit Tabak und Nikotin. Jedes Departement verfolgt einen anderen Ansatz: Das Bundesamt für Gesundheit versucht die Zahl der Rauchenden zu reduzieren, die Wirtschaftsförderung wiederum will der Tabakindustrie noch mehr Standortvorteile gewähren und subventioniert den Tabakanbau, und das Aussendepartement wollte den Schweizer Pavillon an der Weltausstellung von Philip Morris sponsern lassen. Auch die Zoll- und Finanzverwaltung verfolgen eigene Ziele. Eine übergeordnete Strategie ist zwingend notwendig.
Mittlerweile streben die grossen Zigarettenhersteller laut eigenen Angaben eine rauchfreie Welt an. Braucht es eigentlich gar keine Tabakprävention mehr?
Die Tabakkonzerne sprechen von rauch-, aber nicht von nikotinfrei. Die aktuelle Werbekampagne von Philip Morris etwa suggeriert, die Erhitzungszigarette «Iqos» würde weniger stark und weniger schnell abhängig machen. Dabei schafft «Iqos» ebenso grosse Nikotin-Abhängigkeiten. Es existieren keine Langzeitstudien, welche die geringere Schädlichkeit solcher Produkte belegen würden.
Der Schweizer CEO des US-E-Zigarettenherstellers Juul fordert eine Erhöhung der erlaubten Nikotinmenge von 20 auf 60 Milligramm pro Milliliter Füllflüssigkeit. Nur so könne man Raucher von Zigaretten wegbringen.
Ich habe den Schweizer Juul-CEO und seinen Lobbyisten Thomas Borer selbstverständlich auch getroffen. Faktisch führt die Erhöhung der maximal erlaubten Nikotinmenge zu einer wesentlich stärkeren und schnelleren Abhängigkeit bei den Konsumenten. Es ist ein Trugschluss zu denken, dass nur bestehende Rauchende das Produkt nutzen werden.
Warum glauben Sie dem Juul-CEO nicht, dass er Raucher zu einer gesünderen Alternative bringen will?
Bei Juul handelt es sich um ein Lifestyle-Produkt im Look eines USB-Sticks. Das Unternehmen will offensichtlich neue Konsumenten dazugewinnen – das werden vor allem Jugendliche und junge Erwachsene sein. Zu meinen, dass Juul nur fromme Absichten verfolgt, wäre naiv.
In den USA «vapt» jeder vierte Highschool-Schüler. Droht auch in der Schweiz eine Epidemie?
Dieses Risiko besteht, ganz klar. In Amerika liess Juul seine Produkte von Influencern auf den sozialen Medien bewerben. Alleine in der Schweiz beginnen täglich 40 Kinder und Jugendliche mit dem Nikotin-Konsum. Die Wirkung des Marketings auf Jugendliche ist enorm und darf keineswegs unterschätzt werden.
Zigarettenhersteller sind Meister darin, ihre Geschäftsinteressen politisch durchzusetzen. Wie haben Sie das Lobbying erlebt?
Die meisten Zigarettenhersteller lobbyieren im Verborgenen. Sie verlassen sich fast immer auf Agenturen, die auch noch ganz andere Anliegen vertreten. Der gleiche Lobbyist, der im Zusammenhang mit Lebensmitteln auf die Parlamentarier zugeht, spricht sie auch auf das Thema Tabak an. Die Agenturlobbyisten erledigen die Frontarbeit für die Tabakindustrie, werden aber nach aussen nicht als Tabaklobbyisten wahrgenommen. Das funktioniert erstaunlich gut.
Werden die Tabakfirmen im künftigen Parlament ein ähnlich leichtes Spiel haben?
Das Tabakproduktegesetz könnte im neu zusammengesetzten Parlament nach den Wahlen wesentlich bessere Chancen haben. Vielleicht wird die Schweiz nun doch als eines der letzten Länder sogar die WHO-Tabakkonvention unterzeichnen können.