
Auto, Mail, Büro: Wie die Polizei Metger nach Vierfachmord ausspionierte
Georg Metger (50) wusste, dass er unter Verdacht stand. Doch er ahnte nicht, wie umfangreich die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelte. Metger war der Partner von Carla Schauer, die mit ihren zwei Söhnen und der Freundin des Älteren am 21. Dezember 2015 in Rupperswil ermordet worden war. Im Mai 2016 wurde der inzwischen verurteilte Vierfachmörder Thomas N. gefasst.
Doch erst im Oktober 2016 erhält Metger den entscheidenden Brief: eine Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft. Die Ermittler teilen ihm darin mit, dass sie gegen ihn eine Strafuntersuchung wegen mehrfacher Tötung führten und diese nach Ablauf der Beweisergänzungsfrist abgeschlossen hätten. In seinem nun erschienenen Buch schreibt Metger: «Ich bin schockiert. Bin gelähmt, ringe nach Atem.»
Die eigentliche Überraschung kommt allerdings erst danach. Der Einstellungsverfügung liegt ein Schreiben bei mit dem Titel «Mitteilung erfolgter Überwachungsmassnahmen». Metger: «Ich erfahre, dass man mich monatelang observiert hat. Schwarz auf weiss steht da, was ich nicht eine Sekunde lang geahnt habe.» Die Polizei überwachte seine Handy-, Mail- und Internetdaten sowie seinen Festnetzanschluss rund um die Uhr. Sie zeichnete jedes SMS, jedes Mail und jedes Telefongespräch auf und hielt jedes Wort in einem Protokoll fest.
Aber nicht nur das: Die Polizei montierte heimlich einen GPS-Sender an seinem Auto, mit dem sie ein Bewegungsprofil von ihm erstellte. Zudem peilte sie ihn mit einem sogenannten IMSI-Catcher an, um herauszufinden, ob er mehrere Handys besitzt. Metger wundert sich: «Warum ich erst fast fünf Monate nach der Festnahme des geständigen Täters von diesen Massnahmen erfahre, wird mir nicht mitgeteilt.»
Tausende Überwachungen
Metger ist einer von Tausenden Fällen, die von einer Amtsstelle von Simonetta Sommarugas (SP) Polizeidepartement bearbeitet werden: vom Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (ÜPF). In einem grauen Gebäude in Bern-Bümpliz sitzen drei Dutzend Beamte, die Aufträge von Strafverfolgungsbehörden entgegennehmen. Sie kontaktieren die Provider und teilen diesen mit, welche Nummern und Adressen zur Überwachung freigeschaltet werden müssen. Der Bundesdienst stellt die Verbindung zu den kantonalen Strafverfolgungsbehörden her, damit diese live mithören und -lesen können. Im grössten Teil der Fälle handelt es sich um Drogendelikte.
Die Zahl der Echtzeitüberwachungen des Dienstes ÜPF ist enorm: Rund 3000 sind es pro Jahr. Jedes Gerät wird dabei einzeln gezählt. Metger taucht mindestens zweimal in der Statistik auf, da von ihm Handy und Festnetz erfasst wurden. Hinzu kommen in der ÜPF-Statistik rückwirkende Überwachungen. Diese sind noch häufiger und betreffen rund 6000 Geräte pro Jahr.
Vier Ordner voller Akten
Metgers Überwachung produzierte viel Papier. Als Metger Akteneinsicht verlangt, legt ihm die Staatsanwaltschaft vier prall gefüllte Bundesordner vor. Sie dokumentieren seinen Alltag und sein Privatleben – alles fein säuberlich beschriftet. Metger staunt beim Blättern: «Auf Tausenden dicht beschriebenen Seiten wurde mein Leben bis in die hintersten Winkel durchforstet, und dies auch rückwirkend.» Bereits ein halbes Jahr vor der Tat sei nichts mehr privat geblieben, kein SMS und kein Mail, das er Carla schrieb, und keine ihrer Antworten. Auch alle Gedanken und Gefühle, die er im Zusammenhang mit dem Verbrechen seinen engsten Vertrauenspersonen mitgeteilt habe, seien analysiert worden.
Besonders schwierig für Metger ist, dass die Polizei Dutzende Menschen aus seinem privaten und geschäftlichen Umfeld über ihn befragte und sie mit dem Gedanken konfrontierten, er könnte ein Mörder sein. Vier Polizisten durchsuchten seinen Arbeitsplatz bei der Kantonalbank und weihten den Chef des Rechtsdienstes und einen technischen Mitarbeiter in die Ermittlungen ein. Monatelang arbeitete Metger mit den Kollegen zusammen, ohne dass sie ihm ihr Geheimnis mitteilen durften. Sie halfen mit, seine Kontobewegungen auszuwerten.
Bei anderen Banken holten die Beamten Auskünfte über mögliche heikle Kundenbeziehungen ein. Sogar Metgers ehemaliger Segellehrer wurde befragt.
Ein gläserner Bürger
Die vier Bundesordner machen Metger bewusst, wie viele elektronische Spuren er in seinem Leben hinterlässt. Ein Beispiel: Er gehe nur selten ins Casino, doch im Spielcasino Baden stiessen die Beamten auf seine Personenregistrierung. So konnten sie einen gemeinsamen Besuch von Carla und ihm rekonstruieren, obwohl er viele Jahre zurückliegt.
Wochen nach der Einstellungsverfügung, im Herbst 2016, erhält Metger einen weiteren Brief. Die Staatsanwaltschaft teilt ihm mit, die Verfügung sei nun definitiv. Und: Die Verfahrenskosten würden zulasten des Staates gehen. Metger: «Einen Moment lang bin ich versucht, mich dafür zu bedanken, dass ich meine Observierung nicht aus der eigenen Tasche berappen muss – doch dann lasse ich diese ironische Geste bleiben.»
Dass alles Erdenkliche versucht worden sei, um den Mörder zu finden, wolle er niemandem zum Vorwurf machen, schreibt Metger. «Aber das Gefühl, eine gläserne Gestalt gewesen zu sein, hinterlässt einen schalen Nachgeschmack.» Bis zum heutigen Tag versuche er mit der ungeheuerlichen Tatsache fertig zu werden, dass man ihm zugetraut habe, Carla, Dion, Davin und Simona auf dem Gewissen zu haben. Dass die Observation Monate dauerte, lasse ihn noch heute ratlos zurück.
Ein Gedanke hole ihn immer wieder ein: «Was wäre gewesen, wenn man den Mörder nie gefasst hätte? Hätte man aus den Ermittlungsergebnissen und mangels anderer Möglichkeiten Anklage gegen mich erhoben? Ich werde es nie erfahren.»