
Bei den Restaurants in den Grenzregionen funktioniert die 3G-Regel «sehr gut», aber die Schweizer kommen nicht mehr
Die Schweiz ist ein Nachzügler in Sachen Coronazertifikat. Während in Frankreich, Österreich und grossen Teilen Deutschlands seit Wochen die 3G genannte Zertifikatspflicht («getestet, geimpft oder genesen») für die Gastronomie gilt, wird sie hierzulande erst am Montag eingeführt. Was kommt auf die Schweizer Restaurant- und Barbetreiber zu?
Im angrenzenden deutschen Baden-Württemberg sind die Erfahrungen gemischt. Der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga hat bei seinen Mitgliedern eine Umfrage durchgeführt, an welcher sich 1500 Betriebe aus dem Bundesland beteiligten. «Das Bild ist geteilt mit leicht positiver Tendenz für 3G», sagt Sprecher Daniel Ohl.
Spontanbesuche bleiben aus
Die Betriebe beurteilen die 3G-Regel zu 53,2 Prozent als «positiv» oder «eher positiv», während sie 46,8 Prozent als «eher negativ» oder «negativ» einstufen. Auf die Frage, ob es Probleme im Zusammenhang mit der Einführung von 3G gegeben habe, antworteten mit 54,2 Prozent die meisten Betriebe mit «Nein».
«Generell reduziert sich das Gästepotenzial», sagt Ohl. Gastronomen berichteten von negativen Effekten vor allem bei spontanen Besuchen und dort, wo es keine leicht verfügbaren Testangebote gebe. Weniger negative Effekte gebe es bei langfristig geplanten Besuchen. Die aktuelle Regelung bringe gleichzeitig Lockerungen etwa bei den nutzbaren Kapazitäten. «Das erhöht die Planungssicherheit für Betriebe und Gäste und kann sich positiv auf die Umsätze auswirken», so Ohl. Keine Zahlen hat sein Verband zur aktuellen Zahl der in Grenzregionen wichtigen Schweizer Gäste.
Schweizer bleiben weg
Auch im österreichischen Vorarlberg essen Schweizerinnen und Schweizer gern – und dort gilt ebenfalls die Zertifikatspflicht. «Sie funktioniert sehr gut», sagt Hannes Jochum, der für die Gastronomie zuständige Geschäftsführer der Wirtschaftskammer Vorarlberg. Ausnahme sei die Nachtgastronomie, also beispielsweise Clubs.
In Sachen finanzielle Einbussen gibt Jochum Entwarnung: Die Restaurants hätten in den Sommermonaten etwa gleich viel umgesetzt wie in den Vorjahren. Die 3G-Regel sei «kein Thema» in der Branche. Wehren würde sie sich, wenn der Zutritt nur auf Geimpfte begrenzt würde. «Das würde das Umsatzpotenzial um 20 bis 30 Prozent schrumpfen lassen», sagt Jochum. «Wir wollen nicht zu unseren Lasten als Impfanreiz dienen.»
Ein Problem haben die Vorarlberger Wirte aber: Die Schweizer bleiben zuhause. «Wir haben gerade einige Betriebsbesuche durchgeführt», sagt Jochum. «Es waren alle unisono der Meinung, dass weniger Gäste aus der Schweiz bei uns sind als vor Corona.» Das Minus liege etwa bei 10 bis 20 Prozent. «Das liegt vor allem an der 3G-Regelung und daran, dass in der Schweiz noch nicht so viele geimpft sind.» .
Etwa 70 Prozent sind geimpft
Das dürfte mit ein Grund sein, weshalb die Kritik der Schweizer Gastrobranche an der Zertifikatspflicht ungleich härter ausfällt. «Wir sind dagegen», sagte Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer diese Woche in einem Interview mit «24 heures». Die Quote der vollständig Geimpften ist in der Schweiz 9 Prozent tiefer als in Deutschland und 6 Prozent tiefer als in Österreich, wie Daten des Portals «Our World In Data» zeigen. Platzer spricht im Interview von 45 Prozent der hiesigen Bevölkerung, die nicht geimpft sind – sich selbst mit eingeschlossen. «Das wird die Zahl der Kunden verringern.»
Ganz so arg ist die Situation nicht. Gemäss Bundesamt für Gesundheit (BAG) sind derzeit 59 Prozent der Gesamtbevölkerung mindestens einmal geimpft und haben so ein Zertifikat oder erhalten es in absehbarer Zeit. In dieser Zahl sind zudem auch Kinder und Jugendliche enthalten, die bis zum Alter von 16 Jahren auch ab Montag kein Zertifikat für den Restaurantbesuch brauchen. Bei den über 20-Jährigen sind gemäss einer Berechnung dieser Zeitung derzeit etwa 70 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal geimpft. Die Zertifikatspflicht ermöglicht zudem auch Getesteten und Genesenen den Zutritt zu Restaurants.
Funktioniert Freiwilligkeit?
Betriebe auf dem Land dürften unter ihr stärker leiden als solche in Städten, wo die Impfquote höher ist. Auf dem Land regt sich denn auch Widerstand. Das zeigt ein Blick in den Chat der Bewegung «Alle sind willkommen» auf der Plattform Telegram, in dem sich Betriebe gegen eine Zertifikatspflicht aussprechen.
Darunter sind Restaurants in Bänikon TG, Kaltbrunn SG oder Tschappina GR, aber kaum aus den grossen Städten. Das erstaunt nicht: Wer ein Lokal in der Stadt Zürich betreibt, in der 78 Prozent der Erwachsenen mindestens einmal geimpft sind, muss mit der 3G-Regel auf weniger Kundschaft verzichten als eine Wirtin im impfkritischeren Innerrhoden.
Auf dem Land seien Konflikte zu erwarten, sagte Gastrosuisse-Präsident Platzer zu «24 heures». Er plädierte deshalb für Freiwilligkeit: Betriebe, die aufgrund ihrer Kundenstruktur mit Zertifikat arbeiten wollten, könnten das tun und dafür etwa die Maskenpflicht aufheben, während andere Betriebe ohne Zertifikat, dafür mit Kapazitätseinschränkungen und Maskenpflicht öffnen könnten. Daraus wird mit dem Bundesratsbeschluss nichts.
Sowieso hätte Platzers Vorschlag einen Nachteil: Gastronomen, die auf eigene Faust eine Zertifikatspflicht einführen, brauchen ein dickes Fell. Als diese Woche ein Basler Restaurant bekannt gab, künftig ein Zertifikat zu verlangen, wünschten Dutzende Online-Kommentatoren dem Betrieb den Konkurs und «schlechte Geschäfte». Selbst der Medienchef des Basler Arbeitgeberverband sah sich genötigt, via Facebook seinen Boykott der Lokalität zu verkünden. Zu beneiden sind die Gastronomen nicht: Allen Recht machen können sie es kaum.