Bewertungsplattformen: Wenn Arbeitgeber plötzlich online am Pranger stehen

Zum Kritiker kann im Onlinezeitalter jeder werden. Innert Sekunden ist das Essen im Restaurant, die Aussicht im Hotel, die Kamera im Smartphone bewertet. In der Anonymität der digitalen Welt lässt sich bequem Lob verteilen – oder Kritik üben. Bewertungsplattformen gibt es längst auch für Arbeitgeber. Eine der meistgenutzten, nach eigenen Angaben gar die grösste in Europa, heisst Kununu. «Finde heraus, wie es wirklich ist», verspricht die Website. Das Prinzip ist einfach: Fünf Sterne sind in verschiedenen Kategorien zu vergeben – von der Arbeitsatmosphäre bis zum Lohn. Bewerten ist anonym möglich, eine Mailadresse reicht. Allein auf Kununu sind 160000 Bewertungen aus der Schweiz eingegangen, 15000 davon aus dem Aargau.

In den Kommentaren müssen die Unternehmen teilweise massive Kritik einstecken. Schlecht kommt unter anderem die Sozialversicherung Aargau (SVA) weg: 2,6 von 5 Sternen und nur jeder Vierte würde die SVA als Arbeitgeber weiterempfehlen. In den Kommentaren werden neben einigen lobenden Bemerkungen zum Teil heftige Vorwürfe geäussert. «Die SVA fährt komplett gegen die Wand», schreibt eine Person. «Atmosphäre von Hass, Neid und Intrigen zerstört. Vom Kader, aber auch von den normalen Sachbearbeitern. Jeder kämpft ums Überleben, ohne Rücksicht», heisst es in einem anderen Kommentar. Und ein dritter Nutzer bemerkt: «Empfehle den Jungen, einen Bogen um diese Firma zu machen. Man wird null gefördert.»

«Ärger und Unmut ausdrücken»
Bei der Sozialversicherung Aargau sind die geäusserten Vorwürfe bekannt. Sprecherin Linda Keller erklärt die schlechten Bewertungen mit dem «aktiven Veränderungsprozess» des Unternehmens. «Bei der SVA Aargau hat sich im vergangenen Jahr einiges bewegt», sagt Keller. Arbeitsinhalte hätten sich verändert, Abläufe seien verbessert sowie teilweise automatiZ siert und digitalisiert worden. Veränderungen führten manchmal auch zur Verunsicherung. Keller: «In der Folge haben einige (oft ehemalige) Mitarbeitende Kununu auf ihre Weise genutzt, um ihren Ärger und ihren Unmut auszudrücken.» Die Plattform könne ein «Ventil für frustrierte Mitarbeitende» sein.

Die Kommentare sind für alle öffentlich. Wer sich für eine Stelle interessiert, kann sich über den Arbeitgeber informieren. Das Profil der SVA beispielsweise ist bereits über 10000-mal aufgerufen worden. In Bewerbungsgesprächen sei die Kritik auch schon zum Thema geworden, sagt Keller. Zu Absagen von Bewerbern habe dies aber bislang nicht geführt. «Ob es Personen gibt, die sich aufgrund der Kommentare gar nicht erst bewerben, können wir nicht beurteilen.» In einem Punkt übt SVA-Sprecherin Keller selbst Kritik an der Bewertungsplattform: «Die Anonymität senkt die Hemmschwelle für frustrierte Kommentare und erschwert den Dialog.»

Im Zweifelsfall ein Arbeitszeugnis
Bedenken, die beim einstigen Start-upUnternehmen mit Sitz in Wien nicht geteilt werden: Kununu-Sprecher Johannes Prüller erklärt, die Hürde, seinen Arbeitgeber online zu bewerten, müsse möglichst tief sein. Schon deshalb, weil es einige Minuten dauere, um den Fragebogen auszufüllen. «Das bedeutet, die Nutzer nehmen sich Zeit zu reflektieren.» Das Ziel von Prüller und seinen Kollegen: Die Erfahrungsberichte sollen Bewerbern dabei helfen, sich ein Bild von einem potenziellen Arbeitgeber zu machen. «Heute ist es ganz normal, neben dem Restaurant und dem Hotel auch seinen Arbeitgeber online zu beurteilen.» Man erkenne sehr schnell, wenn Bewertungen nicht authentisch seien. «Und im Zweifel fordern wir auch Bestätigungen an – zum Beispiel in Form eines Arbeitszeugnisses oder Arbeitsvertrags», sagt Prüller. Weniger als ein Prozent der Bewertungen werde wieder offline genommen.

Unternehmen können heikle Inhalte melden. In einem Fall hat die SVA Aargau von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. «Bei einer Bewertung haben wir aufgrund der Tonalität gezweifelt, ob die diese tatsächlich von einem Lernenden erfasst wurde», sagt Keller. Nach einer Meldung bei der Website wurde der Eintrag vom Netz genommen.

«Die Bedeutung nimmt stetig zu»
Noch nie gegen online veröffentlichte Vorwürfe vorgehen musste die Hypothekarbank Lenzburg, wie CEO Marianne Wildi auf Anfrage sagt. Auch die Regionalbank, die auf Kununu 3,95 von 5 Sternen erreicht, wird nicht nur positiv bewertet: Die Rede ist von «Vetternwirtschaft» oder «Verbesserungspotenzial in vielen Bereichen». Wildi hält die Bewertungsplattformen trotzdem grundsätzlich für hilfreich. «Wir sichten die Beiträge periodisch und lassen relevante Erkenntnisse in die Umsetzung unserer Personalstrategie einfliessen.» Allerdings müsse deren Inhalt auch kritisch hinterfragt werden. Marianne Wildi, die neben ihrem CEO-Posten bei der Hypi auch Präsidentin der Aargauischen Industrie- und Handelskammer (AIHK) ist, rät den Unternehmen: Die Inhalte periodisch zu sichten und mit einer «konstruktiv-kritischen Grundhaltung» zu würdigen.

Die Arbeitgeber können sich auf den Bewertungsplattformen auch selbst vorstellen, ihren eigenen Auftritt pflegen. Die Aargauische Kantonalbank (AKB) tut dies seit 2016. Das firmeneigene Video – «einfach massgebend» – finden Interessierte dort genauso wie die Zahl der Mitarbeiter und Geschäftsstellen. Mehr als 20000-mal ist das Profil besucht worden. AKB-Sprecherin Ursula Diebold: «Die Plattform nimmt stetig an Bedeutung zu und ist daher für uns wichtig.» Die Kantonalbank erreicht 4 von 5 Sternen und erhält viel Lob. Gegen negative Äusserungen habe die AKB noch nie vorgehen müssen, sagt Diebold. «Rentable Bank mit guter Unternehmenskultur» oder «AKB der grosszügige, faire Arbeitgeber» – einige Aussagen tönen da schon fast wie aus dem Marketing-Lehrbuch. Bei den Kommentaren handle es sich immer um echte Meinungsäusserungen, betont Diebold. «Es gibt unsererseits keine gestellten Beiträge auf Kununu.»