
Bezirksgericht Zofingen: Sechs Mordversuche – oder nur ein einziger?
Dissoziale Persönlichkeitsstörung und mangelnde Empathie
Schon zum Prozessauftakt war dazu die Gutachterin befragt worden. Sie sprach von einer dissozialen Persönlichkeitsstörung – die Folgen sind ein vermindertes Verantwortungsbewusstsein und die Missachtung sozialer Normen. Die Angeklagte habe ihre Störung noch nicht in genügendem Ausmass erkannt, ihr mangle es an Empathie. Der Anwalt des Mannes, der als Zivilkläger auftrat, bezeichnete die Angeklagte als «notorische Lügnerin» – er forderte eine Genugtuung von 80 000 Franken für seinen Mandanten und je 40 000 Franken für die beiden Kinder.
In seinem Plädoyer wolle er die Angeklagte nicht als Opfer darstellen, sagte der Verteidiger. Es gehe ihm darum, die menschliche Seite und die Vorgeschichte zu schildern. Die Kindheit seiner Mandantin sei unglücklich gewesen, sie habe «Demütigungen und Verletzungen» erfahren, ihr Vater sei oft betrunken gewesen – auch von Missbrauch war die Rede. Die Angst, zu versagen, hätten zu einer übertriebenen Selbstdarstellung geführt. Die geforderte stationäre Massnahme kritisierte er: Diese könne immer wieder verlängert werden, weshalb sie auch «kleine Verwahrung» genannt werde, die sich kaum von einer richtigen Verwahrung unterscheide. Für den versuchten Mord durch Verbrennen und die eingestandenen Vermögensdelikte sei die Frau zu einer Freiheitstrafe von maximal acht Jahren zu verurteilen. Für die anderen ihr angelasteten Mordversuche sei sie freizusprechen, da die Beweislage zu dünn sein.
Das Gericht hat das Urteil gestern Abend noch beraten und will es heute eröffnen.
«Verstörend» ist wohl das passendste Wort für den Fall, der gestern vor den Schranken des Bezirksgerichts Zofingen verhandelt wurde. Auf der Anklagebank: eine 33-jährige Frau und Mutter aus dem Bezirk, die mehrfach versucht haben soll, ihren Mann für immer aus dem Weg zu räumen. Mit Feuer, Gift und Gas. Das Meiste davon bestreitet sie.
Unbestritten ist, wann die Tragödie ihren Anfang nahm. 2008 heiratete die Frau und übernahm die Verantwortung für die Finanzen. Gut ging das nicht: Früh kam es zu Betreibungen und Pfändungen. Um die Schieflage vor ihrem Mann zu verheimlichen, mietete sie im September 2011 ein Postfach an. Von 2010 bis 2017 häufte sie Verlustscheine in der Höhe von über 80 000 Franken an. Sie fälschte Belege für Mietzinszahlungen und legte diese dem Betreibungsamt Zofingen vor.
Im Mai 2017 wurde ein Betreibungsbeamter misstrauisch und holte bei der Raiffeisenbank Zofingen Kontoauszüge ein. Dass keine Mietzinszahlungen geflossen waren, flog auf dem Amt auf. Als eine Anzeige drohte, entschied sich die Frau laut Anklage, ihren Mann umzubringen und ihm die Schuld in die Schuhe zu schieben. Nicht weniger als sechs Tötungsversuche soll sie unternommen haben, um das Bild der «Powerfrau» zu wahren, das sie nach aussen so sorgsam pflegte. In den ersten drei Juniwochen 2017 soll die Angeklagte intensiv im Internet recherchiert haben, wie sie ihren Mann umbringen könnte. Am 12. Juni kaufte sie laut Anklageschrift in Egerkingen SO zwei Flaschen mit einem CO2-Argon-Gemisch. 36 Liter des Gases soll sie im Schlafzimmer versprüht haben; der Versuch scheiterte.

Den zweiten Tötungsversuch soll sie mit einem vergifteten Kartoffelsalat unternommen haben, den sie ihrem damaligen Ehemann vorsetzte. Er erlitt am Abend des 24. Juni 2017 eine schwere Vergiftung, es sei ihm stundenlang schlecht gegangen, sagte er gestern bei der Befragung. Laut Anklageschrift war die Dosis Gift zu gering. An diesem Tag habe es Tellerservice gegeben, was ungewöhnlich gewesen sei.
Wenig später der dritte Versuch. Laut Anklage wollte die Frau einen Auftragsmörder anheuern. In einem SMS mit einem Prepaid-Handy an einen Mann aus Aarburg schrieb sie am 1. Juli 2017, sie «suche jemanden, der gegen Bezahlung Gewalt ausübt». Als dieser sich nicht gemeldet habe, habe sie den Plan aufgegeben, so die Anklage.
Schliesslich – immer laut Anklage – der vierte Versuch: Propangas. Am 22. August erkundigte sie sich auf Facebook, ob man wegen Gasgeruch aus dem Schlaf erwache. Ein Dichtungsband soll sie gekauft haben, um die Schlafzimmertür abzudichten. Auch dieses Vorhaben soll gescheitert sein. Als der Mann morgens den Gasgeruch bemerkte, soll sie ihm erklärt haben, dieser stamme von einem Industrieunternehmen in der Nähe.
Dann der Vorfall mit dem Birchermüesli – laut Anklage der fünfte Tötungsversuch. Ende August 2017 soll die Frau versucht haben, ihren Mann mit einem vergifteten Müesli umzubringen. Als Gift soll sie zermahlene Eibenkerne benutzt haben. Das Müesli rührte der Ehemann aber gar nicht an.
Und schliesslich die fatale Brandnacht vom 29. auf den 30. August 2017 – «eine sauber geplante Tat», wie der leitende Staatsanwalt Simon Burger gestern sagte. Die Frau soll, so die Anklage, eine Decke mit Benzin getränkt, ihren Mann damit zugedeckt und schliesslich angezündet haben. Das Opfer versuchte, die brennende Decke zu ersticken, was ihm aber nicht gelang. Erst habe er Kälte verspürt – wohl durch das flüssige Benzin. Dann habe er ein Klicken gehört, schliesslich eine Stichflamme gesehen. Seine Frau sei unten am Bett gestanden. Über den Balkon gelangte er ins Zimmer der Kinder nebenan, die er weckte und in Sicherheit bringen konnte. Er erlitt schwerste Brandverletzungen und musste mit einem Heli ins Spital geflogen werden.
Angeklagte: Gedanken zum Töten kam erst in der Brandnacht
Diesen letzten Mordanschlag gibt die Angeklagte zu – alle anderen bestreitet sie. Allerdings: Erst an diesem Abend habe sie zum ersten Mal den Gedanken gehabt, ihren Mann zu töten. «Er oder ich», habe sie gedacht – das Feuer würde die Arbeit erledigen, meinte sie unter Tränen und schilderte, wie ihr Mann versucht hat, die Flammen zu löschen. Sie habe Benzin benutzt, weil dieses gerade vorhanden gewesen sei. Dieses habe sie über die Decke geschüttet, neben der ihr Mann schlief. Sie habe den Gedanken gehabt, ihren Mann zu «erlösen» – von der ganzen Situation, in die das Paar geraten war. Am 31. August stand ein Einvernahmetermin wegen den Ungereimtheiten mit dem Betreibungsamt an. Sie sei angesichts des Schuldenbergs völlig überfordert gewesen, darüber reden oder Hilfe holen konnte sie nicht. Und ja, sie habe Aufmerksamkeit gesucht – beispielsweise, indem sie eine Leukämie vortäuschte und dazu ein Arztzeugnis fälschte.
Nichts wissen wollte sie von allen anderen Tötungsversuchen. Sie habe Selbstmordgedanken gehabt und im Internet recherchiert, wie sie sich umbringen könne. An viele Details konnte sie sich nicht erinnern. Wie erklärt sie die Abschiedsbriefe, die sie im Namen ihres Mannes verfasst hat? Das könne sie sich nicht genau erklären, sagte sie. Die Argon-Flasche habe sie in suizidaler Absicht unter der Bettdecke aufgedreht – an ihre Kinder habe sie in diesem Moment nicht gedacht. Den Giftanschlag mit Kartoffelsalat bestritt sie. Der Ehemann sei schon am Vortag nicht ganz fit gewesen. Sie habe ihm Tee gekocht, damit es ihm besser gegangen sei. Auch das intensive Googeln nach Eiben habe einen Grund gehabt: Sie habe damals Husten gehabt und gelesen, dass Eibentee helfen soll, so die Angeklagte.
«Die Angeklagte gibt immer nur zu, was erstellt ist», sagte der Staatsanwalt. Die Brandstiftung habe sie erst eingeräumt, als die Beweislast erdrückend war. Sie sei kaltblütig, zielstrebig, skrupellos und selbstsüchtig vorgegangen. Er forderte eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren, die zugunsten einer stationären Therapie aufgeschoben wird.
