
«Biedermann und die Brandstifter»: Wahrheit ist die beste Tarnung
«Nicht einmal eine Zigarette anzünden darf man sich heute …» Der Prolog, den Gottlieb Biedermann (Max Merker) vor dem Vorhang hält, ist so nicht in Max Frischs «Biedermann und die Brandstifter» enthalten. Es ist ein Versuch, dem 1958 uraufgeführten Stück Aktualität zu verleihen. Die im Programmheft insinuierte Diagnose Robert Pfallers, dass der heutige Mensch die Lust auf den Verzicht übe, diese anderen aufoktruiere und zunehmend ausserstande sei, mit Genuss seine Bedürfnisse zu stillen, ist nichts als eine nette Bemäntelung.
Vorauseilende Verharmlosung
Es wird denn auch flott Zigarren gepafft. Selbstzufrieden und behäbig stellt Gottlieb Biedermann seine Weltoffenheit zur Schau. Gottlieb Biedermann, der in seiner Zeitung gerade wieder von den vermaledeiten Brandstiftern liest, tritt dem Vorwurf des Spiessertums mit vorauseilender Jovialität entgehen. Die offensichtliche Bedrohung verwedelt er mit seiner Zigarre zur Harmlosigkeit. Weiss geschminkt wie alle übrigen Figuren im Stück, ist der Haarwasserfabrikant mehr typologisch denn individuell gezeichnet. Der bis zur Karikatur weissgesichtige Feuerwehrchor unterstreicht das Gleichnishafte der Inszenierung von Katharina Rupp vom Theater Orchester Biel Solothurn (TOBS). Die Mahnworte, die die Feuerwehrleute dem Publikum entgegenrocken, sind parodistischer Natur.
Doch der Reihe nach: Der arbeitslose Ringer Josef Schmitz (Günter Baumann) begeht mit einer Nonchalance seinesgleichen Hausfriedensbruch und macht sich wohlig im Haus der Biedermanns breit. Blitzschnell im Denken, heimtückisch frech im Reden, langsam und unterwürfig in der Körpersprache, tanzt er dem Hausherrn auf der Nase herum. Gerade weil er sich selbst als den Halunken anklagt, der er ist, weckt er bei den Biedermanns den Widerspruch. Trotz mehr zaghafter denn ernsthafter Bedenken von Biedermanns Frau Babette (Atina Tabé) nistet sich der Sepp auf dem Dachboden ein. Bald ist auch sein Kumpan Maria Wilhelm Eisenring (Matthias Schoch), respektive der Willi, ein arbeitsloser Kellner, mitsamt Benzinfässern und Zündschnüren einquartiert. Die Katastrophe ist von Beginn weg offenkundig angelegt. Je deutlicher sich die Brandstifter outen, desto mehr will Biedermann sie sich zum Freund machen. Sie stellen unter den Beweis, dass die Wahrheit die bessere Tarnung ist als Ironie und Sentimentalität. Die will nämlich niemand sehen.
Die psychologisch durchsichtigen Rededuelle sind präzise ausgestaltete Lehrstücke rhetorischer Verführung. Das drehbare Haus auf der Bühne ist Sinnbild dafür, wie sehr Biedermann das Offensichtliche wiederholt zur Harmlosigkeit verdreht. Wie sich der Haarwasserfabrikant auf dem Dachboden in den Zündschnüren verstrickt, die er selbst mit anlegt, unterstreicht den bösen Gang der absehbaren Handlung. Am Schluss reicht Biedermann den Schurken selbst das Streichholz, das die Feuersbrunst entfacht.
Die Inszenierung des TOBS setzt aufs allgemein Menschliche, statt sich in politischen Bezügen zu verirren. Wer unkritisch Laisser-faire betreibt, statt Haltung zu zeigen, wird selber zum Komplizen des Bösen und macht sich schuldig. Dieser Kern ist zeitlos. Gleichzeitig riecht manches an der Gutbürgerlichkeit, die Frisch anpeilt, abgestanden und die Höllenfahrt des Hausherrn ist schlicht zu plakativ. Wer dieses Frisch-Stück wirklich für die Gegenwart aufbrechen will, muss es frecher und freier interpretieren. Aber eben: Es funktioniert ja auch so. Kaum tritt Biedermann kurz vor der Katastrophe aus der Rolle heraus und fragt das Publikum: «Was hätten denn Sie getan?», bittet er schon um ein Streichholz für seine Zigarette. Tatsächlich reicht ihm jemand aus dem Publikum dienstbeflissen ein Feuerzeug. Nichts gelernt, kann man da nur sagen. Der Applaus ist ansprechend, aber doch leicht verhalten. Er gilt dem Ensemble ganz, dem Stück eher nur halb.
