Bierbecher auf dem Autodach führt zur Messerstecherei – nun muss der Serbe ins Gefängnis

Eigentlich wollte Ratko (Name geändert) an jenem Samstagabend vor rund zwei Jahren mit Kollegen auf dem Heitern in Zofingen grillieren. «Darum habe ich ein Sackmesser mitgenommen, um die Würste einzuschneiden und den Stecken zu spitzen», sagte der heute 27-jährige Serbe vor Obergericht.

Dort hatte der Mann – keine Ausbildung, Lehre abgebrochen, ein paar Temporärjobs, gelegentlicher Cannabis-Konsument – ein Urteil des Bezirksgerichts Zofingen angefochten. Dieses hatte Ratko wegen eventualvorsätzlicher Tötung zu einer Gefängnisstrafe von siebeneinhalb Jahren verurteilt – denn mit dem Sackmesser hatte der Serbe im Juni 2016 auf einen damals 20-jährigen Brasilianer eingestochen.

Weil es am Abend zu regnen begann, sei er nicht auf den Heitern, sondern stattdessen in ein Pub in der Zofinger Altstadt gegangen. Unterwegs habe er Bier und Chivas-Whisky getrunken, erzählte der junge Serbe. «Ich war nur 63 Kilo, da bist du schnell betrunken.»

Das letzte Bier …

Auch im Pub habe er mit Kollegen einiges getrunken. Dabei habe er mit seinem Messer geprahlt, «aber ich war nicht aggressiv, nur betrunken, alles ganz normal, weisch – äh, wüssed Sie», schilderte Ratko dem Gericht die Stimmung. Als das Pub um 2 Uhr schloss, habe ihn die Wirtin gefragt, ob er noch einen Becher Bier wolle. Ratko wollte, stellte den Becher draussen auf das Dach eines Autos, die Gäste unterhielten sich – offenbar ziemlich laut. Auf jeden Fall so laut, dass Nachbar Pablo (Name geändert), ein 20-jähriger Brasilianer, erwachte und herunterschaute. Pablo und Ratko sind Kollegen, der Brasilianer forderte den Serben auf, den Becher von seinem Auto zu nehmen. Der weigerte sich: «Ich habe das nicht ernst genommen», sagte der Angeklagte. Zeugen hörten, wie er Pablo zurief, er solle nur herunterkommen.

Ins Messer gelaufen
«Ja, ich bin runtergegangen, weil ich mein Auto umparkieren wollte», sagte Pablo vor Gericht. Eine tätliche Auseinandersetzung mit Ratko habe er nicht gesucht, er sei auch nicht aggressiv oder hässig gewesen, «nur ein bisschen gereizt, weil früher am Abend schon mal Leute an meinem Auto lehnten». Als er aus dem Haus kam, «ist er dem Beschuldigten wortwörtlich ins Messer gelaufen», beschrieb sein Rechtsanwalt die Szene vor Gericht. Tatsächlich war Ratko mit geöffnetem Messer vom Pub her zum Eingang gegangen, aus dem Pablo kam. «Ich dachte, wir sind Kollegen und er redet mit mir», sagte er.

Doch Pablo habe ihn attackiert, am Hals gepackt und gewürgt. «Ich bekam keine Luft, habe gedacht, er bringt mich um, und mich gewehrt». Auf die Frage von Oberrichter Robert Fedier, warum er das Messer nicht weggesteckt oder die Klinge eingeklappt habe, antwortete Ratko: «Ich weiss es nicht, Mann, es war mir nicht bewusst, dass ich ein Messer in der Hand hielt, alles ist einfach Scheisse gelaufen, ich hasse diesen Tag, es tut mir alles so leid.»

Verteidiger plädiert auf Notwehr
Anders schilderte Pablo die Szene: «Ich kam runter, er ist auf mich losgegangen, wir haben uns beide am Hals gepackt, es gab ein paar Faustschläge, plötzlich hatte ich das Gefühl, mein rechter Arm sei ausgerenkt.» Dass der Schmerz vom Messerstich von Ratko herrührte, der bei Pablo eine Schulterarterie durchtrennte, merkte er erst später. Und wie gefährlich die Verletzung war, rief Oberrichter Fedier dem Angeklagten in Erinnerung. «Er wäre daran gestorben, wenn man ihn nicht so schnell hätte operieren können.»

Dennoch plädierte Ratkos Verteidiger auf Notwehr – sein Mandant habe sich nur verteidigt, dabei aber keineswegs den möglichen Tod von Pablo in Kauf genommen. Und als dessen Freundin dazukam – die 19-jährige Schweizerin wollte den Streit schlichten –, habe er angenommen, sie könnte dem Brasilianer helfen, und die junge Frau in seiner Todesangst auch angegriffen.

Gericht reduziert Haftstrafe
Das tat Ratko besonders leid; dass er eine Frau verletzt habe, sei schlimm, «ich hasse mich selber dafür». Genau in diesem Punkt reduzierte das Gericht seine Strafe – allerdings nicht, weil Ratkos Aussagen überzeugend waren. Vielmehr kamen die Richter zum Schluss, dass Pablos Freundin unglücklich zwischen die Fronten geraten sei. Deshalb sprach es Ratko in diesem Fall frei. Für die Attacke auf Pablo muss er aber fünf Jahre ins Gefängnis. Er habe die Auseinandersetzung provoziert und es sei unglaubwürdig, dass ihm nicht bewusst gewesen sei, dass er ein Messer in der Hand halte. Damit habe Ratko eine gefährliche Situation geschaffen und in Kauf genommen, dass sein Kollege schwer verletzt oder getötet werde. «Und so betrunken, dass Sie nicht mehr wussten, was Sie taten, waren Sie nicht», schloss Oberrichter Fedier.