Biochemiker erfindet pflanzliches Fleisch: «Die Fleisch-Produktion ist destruktiv»

Der findige Vegetarier

Das Essen in Davos hat ihm nicht geschmeckt. «Man merkt, dass man sich hier nicht gewohnt ist, auf Pflanzenbasis zu kochen», sagt Patrick Brown, als er den Reporter der «Nordwestschweiz» während des Weltwirtschaftsforums WEF traf. Der 63-jährige Gründer und CEO der Firma Impossible Foods ist seit 50 Jahren Vegetarier. Er sagt von sich, dass er eigentlich nicht viel über Essen nachdenkt. Dass er 2011 sein Pensum als Professor an der Stanford-Universität in Kalifornien reduzierte, um Unternehmer zu werden, begründet er mit dem Klimaschutz. Die Fleischindustrie stosse zu viel Schadstoffe aus. Die Lösung liegt für ihn darin, Fleisch aus Pflanzen nachzubauen. Bevor er sich für Fleischersatz interessierte, engagierte er sich für eine Plattform für frei zugängliche wissenschaftliche Papiere.

Patrick Brown ist auf einer Mission. Wie viele andere Unternehmer aus dem Silicon Valley glaubt er, mit einer Geschäftsidee die Welt zu verbessern. Der ehemalige Professor für Biochemie hat einen Fleischersatz entwickelt, der aus pflanzlichen Zutaten besteht, aber dem Geschmack von Fleisch sehr nahe kommt. Köche sind verblüfft.

Warum wollen Sie uns das Fleisch vom Teller nehmen?
Patrick Brown: Das ist ein Missverständnis. Der Grund, warum ich meine Firma gegründet habe, ist die Erkenntnis, dass die Menschen sich das Fleisch oder den Fisch eben gerade nicht vom Teller nehmen lassen. Die Produktion von Fleisch ist mit Abstand die destruktivste Technologie auf Erden. Ich werde dieses Problem aber nicht lösen, indem ich Sie bitte, zu verzichten. Die Lösung ist eine Alternative zu entwickeln, welche alle Vorzüge von Fleisch auch bietet. Unser Produkt muss gleich gut oder besser sein als Fleisch. Darum: Nein, ich werde Ihnen das Fleisch nicht vom Teller nehmen.

Fleisch war lange den Reichen vorbehalten. Nun, da es für breite Schichten erschwinglich ist, sagen Sie, das sei ein Problem.
Auf der einen Seite ist es eine gute Sache: Mehr Menschen haben Zugang zu Genuss. Auf der anderen Seite ist es eine schreckliche Sache. Um die steigende Nachfrage zu befriedigen, werden mehr Treibhausgase ausgestossen als in ganz Amerika oder mehr als im gesamten Transportsektor weltweit. Die Fleischproduktion ist zudem bei Weitem der grösste Wasserverbraucher auf der Welt. Sie verbraucht zwischen einem Viertel und einem Drittel des gesamten Trinkwassers. Mehr als 45 Prozent der gesamten Erdoberfläche werden für die Fleischproduktion verwendet. Dort wird entweder Futter angepflanzt oder Tier geweidet. Früher gab es auf diesen Flächen Regenwald. Kurz gesagt: Der Fleischkonsum löst ein ökologisches Desaster aus. Die Lösung ist: Gebt den Menschen, was sie wollen, gebt ihnen sogar eine bessere Version, aber auf pflanzlicher Grundlage.

Ihr Burger ist teuer und es gibt ihn nur in wenigen Restaurants. So retten Sie die Welt nicht.
Den ersten Tesla konnte sich auch kaum jemand leisten. Aber in ein paar Jahren wird es Teslas geben, die günstiger sind als traditionelle Autos. Wir haben unsere erste Fabrik erst vor sechs Monaten eröffnet. Und wir werden weitermachen, bis sich jeder unseren Burger leisten kann. Was wir im Moment liefern können, ist nur ein Bruchteil der Nachfrage. Unsere Kosten sind jetzt hoch, aber wenn wir die angestrebte Menge haben, dann wird unser Fleischersatz günstiger herzustellen sein als das billigste Fleisch einer Kuh. Fragen Sie mich in drei Jahren noch mal, ob es geklappt hat.

Das werden wir. Wie viel kostet Ihr billigster Burger jetzt?
Wir verkaufen das Produkt an BurgerKetten. Der günstigste Burger kostet 5 Dollar und 99 Cent. Unsere Produktionskosten sind viel tiefer als die von Fleisch. Wir brauchen weniger Land, weniger Wasser, weniger Dünger und weniger Pflanzenschutzmittel. Im Moment bezahlt die Fleischindustrie zudem noch nichts für den Schaden, den sie anrichtet. Sollte es jemals eine Steuer geben auf CO2-Ausstoss, dann werden die Fleischpreise steigen.

In der Schweiz sind wir stolz auf unsere Landwirtschaft. Wir bezahlen viel Geld, um die Bauern zu subventionieren. Nun kommen Sie mit Ihrer Vision, in der es ohne Fleisch und Käse geht. Was sagen Sie den Schweizer Bauern, die Ihren Job verlieren werden, wenn sich Ihr Produkt wirklich durchsetzt?
Die Bauern werden nicht zwingend ihren Job verlieren. Wir brauchen sie für unsere pflanzlichen Rohstoffe. Und wir brauchen talentierte Leute für unsere Fabriken.

Aber die Zutaten für Ihren Burger gedeihen nicht in der Schweiz.
Nicht alle, aber einige. Weizen und Kartoffeln sind unter den Hauptzutaten unseres aktuellen Produktes. Wir gewinnen Protein daraus und verkaufen die Stärke, die wir nicht brauchen. Aus der Sicht der Nachhaltigkeit ist das eine grossartige Sache. Bisher wurden die Proteine aus den Kartoffeln in den Abfluss gegossen, weil manche Produzenten nur an der Stärke interessiert sind. Wir fanden heraus, dass dieses Protein für uns wertvoll ist. Nun verdienen die Bauern mehr, weil sie auch das Protein verkaufen können. Für uns ist es billiger, weil wir die Stärke weiterverkaufen können. Es ist eine Win-win-Situation. In der Zukunft wird eine Hauptzutat ein Protein sein, das wir aus der Blume Alfalfa extrahieren. Sie heisst auch «Luzerne» und wächst in der Schweiz. Es stellte sich heraus, dass in den Blättern die höchste Proteinkonzentration anzutreffen ist, die es überhaupt gibt in einer Pflanze. Aber die Menschen haben das Protein bisher nicht genutzt.

Und was machen wir mit den Kühen? Kommen die in den Zoo?
Warum nicht? Im Moment gibt es auf der Erde ungefähr zwei Milliarden Kü- he. Die Kuh ist das dominierende Tier überhaupt. Ich habe nichts gegen Kü- he, aber es kann ja nicht sein, dass die Welt komplett mit Kühen übersät ist. Laut einer WWF-Studie hat sich die Artenvielfalt in den letzten vierzig Jahren halbiert. Der Hauptgrund ist die Verwendung von Tieren im Ernährungssystem. Und wenn die Nachfrage steigt, wird dieses Problem grösser werden. Ich liebe Kühe, ich liebe die Schweiz und ich liebe Bauern, aber wenn wir nichts ändern, werden wir es in 15 Jahre bitter bereuen. Der Schaden wird dann um einiges schwieriger zu beheben sein.

Ihre Konkurrenten machen Hamburger aus Insekten. Was halten Sie davon?
Es wird sich zeigen, was sich auf dem Markt durchsetzt. Aus der Sicht der Nachhaltigkeit sind Insekten weniger effizient. Sie müssen gefüttert werden und verbrauchen Energie. Die aus Insekten gewonnenen Proteine sind zudem nicht wirklich geeignet. Sie lassen sich nicht so einfach verarbeiten wie unser Grundstoff. Der grösste Konkurrent für uns ist immer noch die Fleischindustrie. Falls sie aber zum Schluss kommen sollte, auch auf pflanzlicher Basis zu produzieren, werde ich sie nicht bekämpfen, sondern ich werde ihr auf die Schulter klopfen.

Sie waren Professor für Bio-Chemie, nun haben Sie Ihre eigene Firma. Sind Sie eigentlich mehr Wissenschaftler oder mehr Geschäftsmann?
Ich bin nicht ganz sicher, was die richtige Antwort hierauf ist. Ich wollte niemals ein Geschäftsmann sein, bis ich feststellte, dass das der einzige Weg ist, mein Projekt zu realisieren. Ich denke öfter über die wissenschaftliche Seite unseres Produktes nach als über die Finanzen meiner Firma. Wir haben dafür Gott sei Dank bessere Leute. 

Der Stoff, der Ihren Burger wie Fleisch schmecken lässt, heisst Häme. Wie kamen Sie darauf?
Ich komme aus der Welt der Biochemie. Dort will man verstehen, wie alles im Detail funktioniert. Wenn man zum Beispiel herausfinden will, wie man Krebs behandeln kann, beginnt man nicht damit, auf den Tumor draufzuhauen, sondern man untersucht in wissenschaftlicher Detailarbeit, wie die Zellen funktionieren. In der Essenswelt gab es das vorher nicht. Das Budget zur Erforschung von Essen ist kleiner als ein Prozent des Budgets der medizinischen Forschung. Aber das Potenzial, die Welt zu verbessern, ist im Bereich Ernährung viel grösser als bei der Medizin. Es werden Milliarden investiert, um das Leben von Menschen, die an tödlichem Krebs leiden, ein wenig zu verlängern. Nur ein Bruchteil davon wird in die Erforschung von Essen gesteckt. Darum hat niemand Häme auf sein Potenzial für die Lebensmittelindustrie untersucht. Es war gar nicht so schwierig zu finden. Ich wusste, dass Häme ein guter Katalysator ist. Jede lebende Zelle enthält Häme. Es gäbe keine Pflanzen und keine Tiere ohne Häme.

Was ist Häme genau?
Es ist ein Molekül, das Eisen enthält. Es transportiert den Sauerstoff im Blut und färbt es rot. Wir könnten nichts anfangen mit dem Sauerstoff aus der Luft ohne das Molekül Häme. Nehmen Sie das Gift Zyankali. Es tötet, weil es Häme blockiert. Menschliches Gewebe ist überladen mit Häme, darum sind unsere Wangen rot. Es ist aber sehr schwierig, Häme in Pflanzen zu finden. Es kommt dort in viel tieferer Konzentration vor. Pflanzen brauchen nicht so viel Energie, und Häme ist das zentrale Element für die Verbrennung von Kalorien, um Tiere und Menschen am Leben zu halten. Meine Hypothese war, dass Häme auch für den speziellen Geschmack von Fleisch verantwortlich ist. Und es stellte sich heraus, dass 95 Prozent des Fleischgeschmackes auf Häme zurückgeht.

Warum mögen wir Fleisch eigentlich so gerne? Hat das nicht viel mit dem Mythos zu tun, es mache – vor allem Männer – stark?
Es gibt diesen Mythos, und viel von unserer Fixierung auf Fleisch hat mit Kultur zu tun. Aber es steckt mehr dahinter. Fakt ist: Der Mensch ist extrem sensibel auf den Geschmack von Blut oder genauer gesagt Häme. Wir können ihn auch in sehr tiefer Konzentration feststellen. Wenn wir Häme auf Holz träufeln – es gab ein schönes Experiment dazu –, dann stürzen sich fleischfressende Tiere auf das Stück Holz und behandeln es wie einen wertvollen Schatz.

Warum ist das so?
Der Geschmack von Häme signalisiert: hier gibt es Eisen und Proteine. Und diese Stoffe sind sehr wichtig fürs Überleben, aber schwer zu finden in der Natur. Meine Hypothese ist, dass die Evolution Wesen selektionierte, welche sehr sensibel sind auf Häme.

Essen Tiere Ihren Fleischersatz?
Ich habe mal ein Experiment gemacht mit Hunden. Ich habe den Grundstoff unseres Burgers in zwei Näpfe verteilt und bei einem Häme beigemischt, um zu schauen, auf welchen Topf die Hunde sich zuerst stürzen. Aber das Experiment scheiterte. Die Tiere rannten einfach zum nächstgelegenen Napf, assen ihn aus und rannten.

VON PASCAL RITTER/NWCH