
Blick auf die Geschichte zeigt: Doppelspitzen sind nicht doppelt so stark
Doppelt gemoppelt hält besser. Für viele Handwerker ist das eine eiserne Regel. Aber lässt sich diese auch auf Parteien übertragen? Nachdem Christian Levrat seinen Rücktritt als SP-Präsident angekündigt hat, fragen sich viele Genossen, ob die Partei künftig von zwei Chefs geführt werden sollte.
Die Absicht hinter solchen Gedankenspielen ist einigermassen durchschaubar: Weil es in der SP als ausgemacht gilt, dass eine Frau aus der Deutschschweiz das Präsidium übernehmen soll, können männliche Bewerber eigentlich nur noch in einer Doppelspitze mit einer Frau zum Zug kommen.
Der Aargauer Cédric Wermuth, der seine Ambitionen noch bedeckt hält, erklärte schon vor Wochen, er sei «ganz generell offen für die Idee eines Co-Präsidiums». Als mögliche Partnerin wird seine langjährige Weggefährtin Mattea Meyer gehandelt. Die Zürcher Nationalrätin sagte dieser Zeitung: «Unabhängig vom SP-Präsidium halte ich Co-Führungsmodelle für zukunftsweisend. Sie zeigen auf, wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefördert werden kann.»
Und auch der Walliser Mathias Reynard will sich eine Kandidatur überlegen, sollte es zu einem Co-Präsidium kommen. Hilft eine Doppelspitze wirklich, die Last auf zwei Schultern zu verteilen? Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt: Die Erfahrungen damit sind zwiespältig.
Doppel-Experimente bei den Grünen gescheitert
Meist verfügen Parteien aus Proporzgründen über zwei Chefs. Je nach Modell werden die Geschlechter, die politischen Strömungen oder die Regionen an der Spitze abgebildet. Mitunter sind mehrere Quotierungen möglich. Der SP böte eine Doppelspitze nicht nur die Möglichkeit, eine Frau und einen Mann zu wählen. Sondern auch, den linken Flügel und den sozialliberalen Flügel zu integrieren. Selbst ein Romands dürfte sich so wieder Hoffnungen machen.
In der Schweiz haben es auf nationaler Ebene bisher erst die Grünen mit Doppelspitzen versucht. Sie beendeten ihre Experimente jeweils vorzeitig. In den 2000er-Jahren entschieden sie sich für ein Co-Präsidium mit einem festen Sitz für die Romands. Die Zürcherin Ruth Genner und der Genfer Patrice Mugny führten die Partei gemeinsam. Die damalige Nationalrätin befürchtete schon im Vorfeld, dass es schwierig werde, die Kompetenzen zu verteilen. Am Ende müsse jemand die Gesamtverantwortung tragen.
Schon nach zwei Jahren wurde Genner zur alleinigen Präsidentin. Ihr Nachfolger Ueli Leuenberger hielt wenig von Machtteilung. Das Präsidium wollte er alleine übernehmen – oder gar nicht. Keine Organisation werde erfolgreich in einer Doppelspitze geführt, fand er.
Nach Leuenbergers Rücktritt versuchten es die Grünen ab 2012 trotzdem nochmals mit eine Doppelspitze. Die Bernerin Regula Rytz und die Waadtländerin Adèle Thorens führten die Partei gemeinsam. Es war ein Versuch, Konflikte von vornherein zu verhindern. Pragmatiker sollten ebenso eingebunden werden wie gewerkschaftliche Vertreter, Romands ebenso wie Deutschschweizer. Funktioniert hat das nicht wirklich.
Bald sorgte die geringe Sichtbarkeit des Duos für Kritik. Es fehle eine repräsentative Identifikationsfigur, hiess es. Seit 2016 leitet Rytz die Grünen solo – erfolgreich, wie die diesjährigen Wahlen gezeigt haben.
In den Regionen sind Co-Präsidien in Mode
Erprobter ist das Doppelspitze-Model auf kantonaler und kommunaler Ebene. Bei den linken Parteien werden Präsidien dort gerne auf mehrere Personen verteilt. Auch Cédric Wermuth führte bis 2018 während vier Jahren gemeinsam mit Grossrätin Elisabeth Burgener die Aargauer SP. Die Ära gilt als erfolgreich. Man habe die Aufgaben gut aufteilen können, bilanzierte die Politikerin am Ende ihrer Amtszeit. «Auch weil ich auf der kantonalen Ebene tätig bin, Cédric auf der nationalen.»
Ähnlich äussert sich eine Person, die selbst der Doppelspitze einer Kantonalpartei angehört hat, aber nicht namentlich zitiert werden will:
In den Regionen falle dies leichter, sagt sie. Dort stehe nämlich das rein Organisatorische eher im Vordergrund.
Hält doppelt gemoppelt also nicht besser? Der Bündner Neo-Nationalrat Jon Pult, der zu den Vordenkern der Sozialdemokraten zählt, ist skeptisch. Sich selbst hat er schon aus den Rennen genommen. «Ein Co-Präsidium macht nur dann Sinn, wenn die beiden Personen gleich ticken», findet er. Um verschiedene politische Richtungen zusammenzuhalten oder die Sprachregionen einzubinden, sei es nicht geeignet.