
Booster-Impfungen: Der «Third Shot» könnte nach hinten losgehen
Endlich geht es voran mit dem Impfen. Und dies so rasch, dass bereits die nächsten Fragen in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken: Brauchen wir eine dritte Dosis zur Auffrischung des Impfschutzes? Und falls ja, wann?
Im Vereinigten Königreich will die Gesundheitsbehörde Menschen über 50 bereits ab Herbst eine Auffrischungsdosis verabreichen. Möglicherweise mit einem veränderten Wirkstoff, der besser auf die neuen Varianten des Virus abgestimmt ist. Möglicherweise aber auch nochmals mit genau jenen Impfstoffen, von denen die Britinnen und Briten bereits ihre ersten und zweiten Dosen erhielten. Die Regierung sicherte sich zu diesem Zweck zusätzliche 60 Millionen Impfdosen von Pfizer/Biontech.
Derweil mangelt es in Dutzenden Ländern an Impfstoff, der grösste Teil der Menschen hat noch nichts davon abgekriegt. Es gehe darum, die Verletzlichsten zu schützen, heisst es in Grossbritannien. Offenbar reicht der Blick nicht über die Insel hinaus. Denn die Verletzlichsten sind nicht die Britinnen und Briten ab 50. Sondern Menschen im globalen Süden, die keinen Erwerbsersatz und keine Krankenversicherung haben. Menschen, die selten die Hände waschen, weil sie kein fliessendes Wasser haben, und bei Symptomen nicht in Isolation gehen, weil sie kein eigenes Zimmer haben. Menschen, denen es nicht darum geht, wieder in ein Restaurant sitzen zu können, sondern überhaupt etwas in den Magen zu kriegen. Diese Menschen benötigen ihre erste und zweite Dosis dringender als Privilegierte in Westeuropa eine dritte.
Wenn es um globale Impfgerechtigkeit geht, verweisen Länder wie das Vereinigte Königreich, aber auch die Schweiz, auf ihre Beteiligungen an der sogenannten Covax-Initiative. Diese wurde im vergangenen Jahr gestartet mit dem Ziel, bis Ende 2021 rund zwei Millionen Dosen zu beschaffen und einen Teil davon einkommensschwachen Ländern zur Verfügung zu stellen. Die Schweiz steuert 20 Millionen Franken dazu bei. Zudem kündigte Alain Berset kürzlich an, zu prüfen, ob 3 Millionen der 5,4 Millionen bestellten Astrazeneca-Impfdosen der Covax-Initiative zur Verfügung gestellt werden könnten.
Bei Astrazeneca handelt es sich um einen Impfstoff, der bis heute in der Schweiz nicht zugelassen ist, der wegen möglicher Nebenwirkungen in der Kritik steht und dessen Wirksamkeit unter jenen von Moderna und Pfizer/Biotech liegt. Die 3 Millionen Impfdosen, die wir grosszügig spenden, werden voraussichtlich bei uns schlicht überzählig sein.
Auch die finanzielle Beteiligung der Schweiz an Covax ist nicht so uneigennützig, wie sie den Anschein macht. Der Bund hat im vergangenen Herbst offen mitgeteilt: «Die Schweiz hat am 18. September 2020 ihre Teilnahme an der Covax-Initiative bestätigt, um dadurch Impfstoffe für 20 Prozent ihrer Bevölkerung zu beschaffen.» Genau, nicht alle Covax-Impfstoffe gehen an Entwicklungsländer, ein Teil davon soll auch in der Schweiz landen. Konkret sind dies weitere 1,7 Millionen Impfdosen für uns – zusätzlich zu den 35,8 Millionen Dosen, die wir bereits bestellt haben und die reichen würden, um die gesamte Bevölkerung (inklusive Babys und Impfskeptische) viermal zu impfen.
Die Coronakrise zeigt: Auf die humanitäre Tradition der Schweiz ist kein Verlass. In der Not stehen auch wir uns selber am nächsten. Doch sogar, wenn wir strikt eigennützig planen, ist das Inseldenken gefährlich. Denn was passiert, wenn wir uns hier dritte Dosen verabreichen, während das Virus in anderen Teilen der Welt grassiert? Dann steigt das Risiko, dass neue Mutationen entstehen, die sich von dort aus verbreiten.
Die Priorität muss jetzt ganz klar darauf liegen, die gesamte Welt mit Impfstoffen zu versorgen. Wenn wir uns hier den «Third Shot», die dritte Dosis, auf Kosten anderer Länder ermöglichen, könnte der Schuss nach hinten losgehen.