
Capoeira, das ist Musik, Rhythmus und Kampf

«Ins Fitnessstudio wollte ich nicht. Bei einem Gespräch mit meinem Cousin erzählte er mir von Capoeira und dass ich das doch auch ausprobieren sollte», erinnert sich der gebürtige Portugiese Miguel da Silva. Damals noch in Spreitenbach zu Hause, suchte er sich eine Capoeira-Gruppe und wurde in Baden fündig. «Ich ging einfach mal während einem Training vorbei und wollte zusehen. Aber der Meister meinte: ‹Zusehen gilt nicht. Wenn, dann wird mitgemacht›.» Seine erste Trainingseinheit absolvierte der Sportbegeisterte zwei Stunden lang in Jeans. Vom ersten Moment an hat es ihn gepackt. Die Musik, der Rhythmus, die Kunst des Kampfs – all das war für den heute 42-Jährigen perfekt.
Aber was genau ist Capoeira eigentlich?
Capoeira stammt aus Brasilien und ist eine spezielle Kunst: «Es ist eine Mischung aus Kampftechniken, Musik und Körperbeherrschung», erklärt der Trainer. «Aber nicht der Kampf steht im Vordergrund. Sondern es ist ein Spiel mit dem Gegner.» Der Kampf wird angedeutet, aber dem Gegner wird nicht geschadet. Es ist eine Abfolge von Aktion und Reaktion. Das Tempo bestimmt die Musik. Es besteht zu keiner Zeit Körperkontakt, das Training hat in erster Linie zum Ziel, den eigenen Körper zu beherrschen. «Früher haben die Männer natürlich gekämpft. Als das verboten wurde, haben sie die Techniken in einer Art Tanz versteckt. Mit der Zeit kam die Akrobatik dazu.»
Natürlich: Würde ein Capoeirist auf der Strasse angegriffen, könnte er sich verteidigen. Denn die Kampfkunst wird von der Pike auf gelernt. Doch die Faszination liegt im Bewegungsablauf und der Flexibilität des Körpers. Zudem wird das Selbstbewusstsein gestärkt.
Capoeira ist sehr weit verbreitet. Es gibt verschiedene Dachorganisationen. Miguel da Silvas Studio in Zofingen gehört zur Grupo de Capoeira União. Die internationale Vereinigung zur Pflege des brasilianischen Kampftanzes wurde 1994 von Mestre Omar da Conceição gegründet und ist vor allem in Brasilien, der Schweiz, in Deutschland und Italien aktiv. Angefangen mit unterrichten hatte da Silva in Luzern, nach vier Jahren zog er nach Oftringen um und suchte sich ein Studio in der Nähe. Eine Zeit lang war er in Rothrist ansässig, seit 2019 trainiert er die Sportler in Zofingen.
Die Frage nach seinem ersten Muskelkater quittiert Miguel da Silva mit einem Lachen. «Das weiss ich nicht mehr, das ist schon so lange her. Aber es gab in meiner Karriere sehr viele Muskelkater und teilweise auch sehr schmerzhafte. Es ist wie bei anderen Sportarten auch: Man spürt Muskeln von deren Existenz man gar nichts wusste.»
Entscheidung zwischen Kampfsport und Kampfkunst
Bevor sich der Portugiese endgültig für Capoeira entschied, trainierte er parallel noch rund ein Jahr zusätzlich Muay Thai. Der Nationalsport Thailands ist eine Kampfkunst, die im 20. Jahrhundert weltweite Verbreitung fand. Der klassische Thaiboxkampf, Muay Thai Boran, beinhaltet neben dem Kämpfen mit unterschiedlichen Waffen auch Bewegungen, die über die waffenlosen Techniken des heutigen Muay Thai hinausgehen. «Das war dann aber doch zu viel Sport und ich entschied mich nach einem Jahr für Capoeira. Die Faszination war damals schon sehr viel grösser als für den blanken Kampfsport.»
Eine Altersbegrenzung gibt es übrigens nicht. Die meisten Schüler sind zwar Kinder und Jugendliche, aber für Erwachsene ist diese Sportart genauso gut geeignet. Auch als Einsteiger. In Luzern hatte der Capoeirist einen Schüler, der ihm besonders in Erinnerung blieb. «Der Mann war 45 Jahre alt, wog ungefähr 100 Kilo und war zwei Meter gross», erzählt er. Nach vier Jahren konnte der Schüler nicht nur im Handstand laufen, sondern auch problemlos in die Brücke gehen – und ebenfalls laufen. Als Demonstration macht da Silva die Übung gleich noch vor. Aus dem Stand lässt er sich nach hinten in die Brücke gleiten und läuft in der heimischen Stube über den Teppichboden.
Familienvater Miguel da Silva arbeitet nicht nur in seinem Hauptberuf als Servicetechniker, sondern unterrichtet in der Woche dreimal Capoeira, trainiert selber noch zweimal und ist nebenher Personaltrainer. Zeit für die Familie bleibt ihm trotzdem mehr als genug. Sein knapp dreijähriger Sohn Leandro, interessiert sich bereits für Papas Sport. «Er will immer schauen, was ich mache und versucht es dann auch», schmunzelt der Familienvater. Seit er seinem Sprössling eine spezielle Capoeira-Trainingshose aus Brasilien geschenkt hat, hat Leandro ein Lieblingskleidungsstück. «Er will sie am liebsten gar nicht mehr ausziehen.»
