
Chefarzt-Affäre: Die Kantonsspitäler Aarau und Baden behindern die Untersuchung – das wiegt schwer
«Es kann zweifelsfrei festgehalten werden, dass in den beiden Kantonsspitälern KSA und KSB falsche Abrechnungen stattgefunden haben.» Zu diesem Schluss kommt die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Grossen Rates, die zwei Jahre lang die Chefarzt-Affäre untersucht hatte. Recherchen der AZ hatten im Jahr 2018 gezeigt, dass der Orthopädie-Chefarzt in Baden und der Angiologie-Chefarzt in Aarau wiederholt Leistungen abrechneten, die sie gar nicht erbracht hatten. Konkret ging es darum, dass die Chefärzte bei Operationen nicht anwesend waren, aber dennoch Honorare verrechneten.
Die beiden fehlbaren Ärzte mussten Rückzahlungen an die Spitäler leisten, in Baden waren es 45000 Franken, in Aarau 5800 Franken. Seit die AZ diese Zahlen publik gemacht hatte, kam immer wieder die Frage auf, weshalb die Beträge derart niedrig waren, obwohl die Ärzte jahrelang an den beiden Spitälern tätig waren. Dies kann auch die GPK nicht klären, wie SVP-Grossrat und Kommissionsmitglied Daniel Aebi an einer Medienkonferenz sagte. Die finanzielle Grössenordnung, der betroffene Zeitraum und die beteiligten Personen sind demnach weiter offen.
Die beiden Spitäler liessen die Vorfälle zwar durch Revisionsunternehmen untersuchen, schränkten die Prüfungen laut GPK aber derart ein, dass viele Fragen offen bleiben. So seien nur Abrechnungen aus begrenzten Zeiträumen überprüft worden. Gewisse Fälle hätten die Spitäler «vorbereinigt, um unterhalb einer ‹Systematik-Schwelle› zu liegen zu kommen». Kommissionspräsident Marco Hardmeier erklärte: «Das ist so, wie wenn ich meine Park- und Geschwindigkeitsbussen aus der Zeit vor 2014 nicht berücksichtigen und dann sagen würde, ich sei kein systematischer Verkehrssünder.»
Kommission ist irritiert über das Verhalten der Spitäler
Darüber hinaus gab es laut Aebi von einigen Revisionsberichten mehrere Versionen. Schliesslich seien wichtige Personen bei den Prüfungen im Auftrag der Spitäler gar nicht befragt worden. Die AZ weiss: Dies trifft auf die Informanten zu, welche die Leitung des KSA auf falsche Abrechnungen des Angiologen hingewiesen hatten.
Die beiden Kantonsspitäler zeigten sich laut Aebi auch gegenüber der GPK wenig kooperativ. Die Kommission ist irritiert, dass die Spitäler versuchten, die Sonderprüfungen durch die Finanzkontrolle mit einem Rechtsgutachten zu verhindern. Zudem habe ein Spital versucht, einen Mitarbeiter, den die GPK zur Befragung eingeladen hatte, von diesem Gespräch abzuhalten. Laut der «NZZ» handelt es sich dabei um den Risikomanager des KSA.
Die Spitalleitungen hätten insgesamt wenig Verständnis für die Untersuchung gezeigt, sagte Aebi. Dies habe zu einer Verzögerung von fünf Monaten und einem Vertrauensverlust in der Zusammenarbeit geführt. Bedenklich sei zudem, dass Unterlagen wie Dienstpläne oder Anwesenheitskontrollen im Operationssaal, die eine nachträgliche Überprüfbarkeit möglich machen würden, nicht lückenlos vorhanden seien, kritisierte Aebi. Er wies darauf hin, dass Verstösse gegen das Gesundheitsgesetz vorliegen könnten. Dieses verlangt, dass für Patienten zehn Jahre nachvollziehbar sein muss, «welcher Arzt den Eingriff tatsächlich und faktisch vorgenommen hat».
Regierungsrat lieferte Akten erst sieben Monate nach Aufforderung
Die GPK kritisiert aber nicht nur die beiden Kantonsspitäler, sondern auch den Regierungsrat. Dieser habe als Vertreter des Kantons, in dessen Besitz das KSA und das KSB stehen, seine Aufsicht ungenügend ausgeübt. Die Regierung habe Hinweise auf die Unregelmässigkeiten bei den Abrechnungen gehabt, Risikobewusstsein und Risikomanagement seien aber mangelhaft gewesen.
Zudem sieht die Kommission ein widersprüchliches Vorgehen des Regierungsrats: «Einerseits signalisiert dieser bis heute wenig Interesse an der vollständigen Aufklärung der Sachverhalte. Andererseits hat er seinerzeit eine Strafanzeige eingereicht.» Irritiert ist die GPK, dass es sieben Monate dauerte, bis die Regierung angeforderte Akten für die Untersuchung lieferte.
Speziell ist in dieser Hinsicht der Rollenwechsel von Jean-Pierre Gallati: Der heutige Gesundheitsdirektor war im Sommer 2018 noch SVP-Grossrat und brachte die Chefarzt-Affäre mit einem Vorstoss ins Rollen. Die damals amtierende Regierungsrätin Franziska Roth ist inzwischen zurückgetreten.
Die GPK empfiehlt nun dem Regierungsrat, seine Aufsichtsfunktion bei den Kantonsspitälern umfassend wahrzunehmen. Eine Umwandlung der Spitäler in Aktiengesellschaften entbinde den Regierungsrat nicht von dieser Verpflichtung. Regierungssprecher Peter Buri sagt auf Anfrage, der Regierungsrat habe den gestern veröffentlichten Bericht der GPK zu falschen Abrechnungen von Chefärzten zur Kenntnis genommen. Inhaltlich äussert sich Buri weder zur Kritik der Kommission noch zu den Empfehlungen, die sie abgibt. Er hält lediglich fest: «Der Regierungsrat wird den Bericht und die darin enthaltenen Erwartungen und Empfehlungen analysieren, über allfällig daraus resultierenden Handlungsbedarf beraten und anschliessend dann die Öffentlichkeit über seine Erkenntnisse und Beschlüsse informieren.»