Coronamassnahmen missachtet: Eines Morgens fährt die Polizei im Laden ein

Seinen Beruf übe er mit Leidenschaft aus, sagte Marc (Name geändert) kürzlich vor dem Bezirksgericht in Brugg. Er leitet in der Region die Filiale eines grossen Schweizer Detailhändlers.

Im März des letzten Jahres wurde seine Arbeit komplett auf den Kopf gestellt. Der Bundesrat hatte mit der Covid-19-Verordnung Massnahmen beschlossen zur Bekämpfung des Coronavirus, die Schweiz befand sich im ersten Lockdown. Verkaufen durften die Läden nur noch Güter des täglichen Bedarfs.

Gemäss Staatsanwaltschaft hat Marc aber als verantwortlicher Filialleiter der Kundschaft vorsätzlich praktisch das gesamte Sortiment angeboten, wie beispielsweise Bekleidung, Elektrogeräte, Dekomaterial oder Spielsachen. Dass er die zum damaligen Zeitpunkt geltenden Bestimmungen im Zusammenhang mit der Coronapandemie missachtet hatte, stellte die Polizei bei einer Kontrolle an einem Montagvormittag Ende März 2020 fest.

Enorme Herausforderung – von einer Minute auf andere

Knapp vier Monate später flatterte Marc ein Strafbefehl ins Haus. Als Beschuldigter wurde er verurteilt zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 75 Franken sowie einer Busse von 500 Franken. Zusammen mit der Strafbefehlsgebühr und den Polizeikosten kam ein stattlicher Rechnungsbetrag von 1340 Franken zusammen. Marc erhob Einsprache.

Der gut 40-Jährige erinnerte sich in der Befragung durch Gerichtspräsident Sandro Rossi an die damalige Ausnahmesituation, an den Mehraufwand durch die umfangreiche Personalplanung, den zusätzlichen Wareneingang durch die Hamsterkäufe, die diversen Absprachen. Es sei eine belastende Zeit gewesen, die an die Substanz gegangen sei, führte er aus.

Selbstverständlich sei es gewesen, betonte er, den Anordnungen der Behörden Folge zu leisten – auch wenn es schwierig gewesen sei den Überblick zu behalten, welche Bereiche des Sortiments abgesperrt werden mussten. Er habe sich auf die Informationen seiner Vorgesetzten verlassen.

Eine detaillierte Liste, eine klare Linie fehlte

Einer von ihnen, der zu­ständige Verkaufschef, sagte vor Gericht als Zeuge aus. Eine solche Situation, hob auch er hervor, sei noch nie da gewesen im Detailhandel. Es sei von einer Minute auf die andere eine enorme Herausforderung gewesen. Gerichtet hätten sie sich «ganz klar» nach Vorgaben des Bundesamts für Gesundheit. Mehrmals pro Woche hätten Ab­gleichungen stattgefunden.

Allerdings, sagte der Zeuge, hätten in einzelnen Regionen Unterschiede bestanden. Gefehlt habe eine detaillierte Liste, eine klare Linie, was zum täglichen Bedarf gehöre. Umgesetzt worden sei, was von den Behörden verlangt wurde. Das Kopierpapier, machte er ein Beispiel, musste erst abgesperrt werden und durfte kurz darauf wieder verkauft werden. Die Weisung im Laden sei gewesen, bei Beanstandungen sofort zu handeln oder auch die entsprechenden Bereiche abzu­decken.

Denunziation funktioniert immer reibungslos

Der Verteidiger forderte einen vollumfänglichen Freispruch. Es könne nur einen solchen geben. Er verwies ebenfalls auf die historische Ausnahmesituation, die chaotischen Zustände, die Unklarheiten. Der beschuldigte Filialleiter habe versucht, den reibungslosen Betrieb und die Lieferkette sicherzustellen, den Versorgungsauftrag zu erfüllen.

Für den Verteidigter war klar, dass sowohl der Vorsatz als auch die gesetzliche Basis fehlte für eine Verurteilung, der Tatbestand «offenkundig» nicht erfüllt sei. Der Beschuldigte – ein unbescholtener Bürger und gewissenhafter Filialleiter – habe einen eminent wichtigen Beitrag geleistet zur Bewältigung der Krise. Ihn zu verurteilen, wäre unangemessen, unverhältnismässig und unfair.

Das Gericht folgte den Ausführungen, sprach den Beschuldigten von Schuld und Strafe frei. Die Kosten gehen zu Lasten der Staatskasse. Covid-19, hielt Gerichtspräsident Sandro Rossi abschliessend fest, stelle alle vor grosse Herausforderungen in sämtlichen Bereichen des Alltags.

Was einen schalen Beigeschmack hinterlasse im Zusammenhang mit diesem Verfahren sei, dass Denunziation aber offenbar stets reibungslos funktioniere. Denn die Polizei sei an jenem Vormittag vor knapp einem Jahr zur Kontrolle in den Laden ausgerückt, weil sie von einer anonymen Person informiert worden war.