
Covid-19, Grippe und bald auch Malaria? Die neue Impftechnik als Allzweckmittel
Innerhalb weniger Monate wurde in einem noch nie dagewesenen weltweiten Effort von Wissenschaft, Medizin, Wirtschaft und Politik der mRNA-Impfstoff entwickelt. Diese Impfstoffe der Firmen Moderna, Biontech/Pfizer und Curevac schützen nun Millionen von Menschen.

Marcel Tanner, Epidemiologe. Präsident der Akademien der Wissenschaften
mRNA-Forschung läuft schon über 20 Jahre
Ein Mann der ersten Stunde und einer der wichtigsten Forscher an der Messenger-RNA ist Steve Pascolo vom Universitätsspital Zürich. Schon in den Jahren von 1999 bis 2006 hat er in Tübingen an der Wirksamkeit von mRNA-Impfstoffformaten gearbeitet und diese optimiert. 2006 brachte er eine klinische Studie über mRNA-Vakzine gegen Lungenkrebs mit an die Universität Zürich, bekam aber schnell keine Unterstützung mehr und verlor schliesslich sein Labor. Pascolo ist auch Mitgründer der Firma Curevac, die unter anderem an der Entwicklung von Anti-Krebs-Impfstoffen arbeitet.

Die BioNTech-Gründer Uğur Şahin (l.) und Özlem Türeci nutzten mRNA-Technologie für einen Corona-Impfstoff.
Bekannt wurde der mRNA-Impfstoff dann erst durch das deutsch-türkische Paar Uğur Şahin und Özlem Türeci, dem es gelang, mit der Firma Biontech die mRNA-Technologie für einen Corona-Impfstoff zu nutzen. Auch sie hatten zuvor an einem Krebsmodell geforscht.
Statt Ablehnung nun Anfragen bei mRNA-Forscher
Nach dem Erfolg bei Covid-19 gilt die mRNA-Impf-Technologie als Hoffnungsträger. «Seit dem Erfolg der mRNA-Impfstoffe haben die wissenschaftliche und medizinische Welt, auch in der Schweiz, sowie öffentliche Stellen endlich erkannt, dass synthetische mRNA grosse Perspektiven in der Medizin bietet», sagt Steve Pascolo. Er erhalte nun Anfragen, sich an Finanzierungen zu beteiligen und wissenschaftliche Artikel zum Thema zu schreiben. Bis 2019 seien seine Finanzierungsanfragen und Artikel weitgehend abgelehnt worden. Pascolo sagt:
«Mit der Pandemie und dem Erfolg des mRNA-Impfstoffs sind wir also von der Nacht zum Tag gekommen.»
Um die mRNA-Forschung noch zu optimieren, möchte er nun wieder ein mRNA-Labor an der Universität Zürich installieren, was ihm bis jetzt noch nicht ermöglicht worden ist.
Die Technik ist ausgeklügelt. Der messenger RNA ist ein Botenstoff, der einen Bauplan an eine Zelle vermittelt, mit dem dann das gewünschte Protein gebaut wird, welches das Virus oder die Krankheit bekämpft. «Im Prinzip kann der mRNA-Ansatz bei jedem Krankheitserreger eingesetzt werden», sagt Burkhard Ludewig, Forschungsleiter am Kantonsspital St.Gallen. Die mRNA-Technologie sei einfach eine andere Form, um Bausteine von Krankheitserregern in den Körper einzuschleusen, welche Antikörper bilden.

Burkhard Ludewig, Forschungsleiter am Kantonsspital St.Gallen
Demnächst Grippe-Impfstoffe für die ganze Welt
Nach Marcel Tanner wird sie wohl auch bei Infektionskrankheiten Influenza und Zika erfolgreich sein. «Weil dafür nur relativ einfache Baupläne für ein Protein erstellt werden müssen.» Und auch Steve Pascolo sieht die nächstmögliche Anwendung gemäss der Meinung der Experten bei Influenza, also bei Grippe-Impfungen. «Das wird schnell gehen, bei Moderna ist das bereits in der Studienphase 1. Wir können uns vorstellen, dass sie im Jahr 2022 oder 2023 genehmigt werden wird», sagt Pascolo. Die ausserordentliche Steigerung der Produktionskapazität, die Moderna und Biontech für den Covid-Impfstoff erreicht hätten, werde es ermöglichen, Influenza-mRNA-Impfstoffe für die ganze Welt herzustellen. Denn diese Technik profitiere von der schnellen, einfachen und veganen Produktion.
Alte Virusimpfstoffe ersetzen
«Die alten Virusimpfstoffe werden wahrscheinlich allmählich durch mRNA-Impfstoffe ersetzt werden, die einfacher herzustellen sind und keine tierischen Produkte erfordern.» In Zukunft werden nach Pascolo zudem neue Impfstoffe gegen Viren entwickelt, gegen die bisher noch gar nicht geimpft werden konnte. So könnte auch ein präventiver Schutz gegen Krankheiten wie die Atemwegserkrankung RSV und die CMV-Infektion mit Herpesviren möglich werden. «Aber über Impfstoffe hinaus sind es die mRNA-basierten Therapien, die ein immenses Potenzial in der Medizin haben», sagt Pascolo. Dazu gehören Therapien für die Regeneration und die Korrektur genetischer Defekte und viele mehr. Zum Beispiel um fehlende oder defekte Proteine zu ersetzen, wie bei Patienten, die an der Stoffwechselerkrankung Cystische Fibrose leiden.

Das sieht auch Philippe Krebs, Immunologie-Forscher an der Universität Bern, so: «Die mRNA-Technologie ist ideal, um Impfstoffe für den Fall zu entwickeln, wenn konventionellere Impfstoffe nicht effizient sind. Solche die auf abgeschwächten Erregern oder auf Proteinen von Erregern basieren.». Oder für Patienten, deren Immunsystem nicht mehr richtig arbeitet. Zum Beispiel, wenn ein Erreger wie das Grippevirus mit hoher Frequenz mutiert. Auch die Entwicklung von Impfstoffen gegen bestimmte Krebsarten oder gegen Autoimmunkrankheiten hält der Immunologie-Spezialist für möglich. «Kollegen von der Firma Biontech in Mainz haben kürzlich gezeigt, dass sich die mRNA-Technologie zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen eignen könnte. Das wurde an einem Mausmodell der Multiplen Sklerose demonstriert», sagt Krebs.
Getestet wird diese mRNA-Technologie somit gegen verschiedenen Erkrankungen: Zum Beispiel auch gegen HIV, Tuberkulose und Malaria sowie und auch mRNA-Wirkstoffe gegen Diabetes, Multipler Sklerose und Alzheimer sind angedacht. Auch zur Behandlung bestimmter Allergien könnten mRNA-Impfstoffe von Nutzen sein. Solche Ansätze müssen aber erst noch getestet werden, hält der Berner Forscher fest.
Biontech steigt mit mRNA-Technik in die Malariaforschung ein
Bei der Tropenkrankheit Malaria ist die Sache nicht einfach. «Sobald es um ein- oder mehrzellige Parasiten geht, und nicht um ein Virus, dessen Überleben von einem oder wenigen Proteinen abhängig ist, wird es komplex», sagt Tanner. «Doch im Prinzip wäre es möglich, auch gegen Malaria einen mRNA-Impfstoff zu entwickeln. Ein solcher Effort ist nun seit drei Wochen in Sicht. Forscher von Biontech werden nun mit EU-Geldern die Malariaproblematik angehen. Potenzial für die mRNA-Impf-Technologie sieht der Basler Epidemiologe auch noch beim Einsatz gegen Tierseuchen.
Für die gesamte mRNA-Forschung gilt nun, dass dafür viel investiert werden muss. 50 Millionen Franken hat der Bundesrat im Mai gesprochen, um die Schweiz mit einem Förderprogramm als Standort für die mRNA-Forschung zu installieren. Das ist nach Meinung der beteiligten Wissenschafter aber noch deutlich zu wenig, um diese Zukunftstechnologie in der Schweiz zu etablieren.