
Dank Corona stürmen Menschen Baumärkte und Möbelläden – woran liegt das?
Garten- und Baucenter waren nach dem Lockdown die ersten, die ihre Tore wieder öffnen durften. Der Andrang war gross: In verschiedenen Teilen der Schweiz bildeten sich Hunderte Meter lange Schlangen, die Leute kauften Erde, Holzplatten, Kräuter, Pools. Nun, im August, zeigt eine erste Umfrage bei Schweizer Garten- und Bauanbietern: Der Ansturm schlägt sich auch in den Zahlen nieder.
Bei Do it und Garden ist man sogar besser unterwegs als im Vorjahr und stellt insbesondere bei Gartenartikeln einen «Nachholbedarf» der Leute fest. Statt für Ferien würden die Leute ihr Geld nun für Investitionen in Haus und Garten ausgeben. Das deutsche Unternehmen Hornbach, das auch Märkte in der Schweiz unterhält, erwartet beim Konzernumsatz ein Plus zwischen 5 und 15 Prozent und korrigierte jüngst seine Prognosen für die verbleibenden Monate. Und Jumbo stellt fest: Der anhaltende Nachholbedarf auch nach dem Lockdown sei «erstaunlich».
Der Online-Handel boomt
Neben Grills, Pools, Gartenmöbeln, Klimageräten und Velos laufen bei Jumbo auch klassische Do-it-yourself-Waren überdurchschnittlich. Sprich: Bauholz, Wandfarbe und Gartenbau-Artikel. Genauso frohlocken die Möbelhändler: Pfister schreibt von einer «erfreulichen Entwicklung», will allerdings keine Zahlen nennen. Besonderen Zuwachs verzeichne man in den Bereichen Gartenmöbel und Büromöbel, bei Ikea laufen die Bereiche Homeoffice, Küche und Schreibutensilien für Kinder besonders stark. Unverändert gut laufen auch die Bereiche Schlafzimmer und Sofa.
Neben dem physischen Absatzhoch verweisen alle Unternehmen auf teils starken Onlinehandelzuwachs. So informiert Ikea, dieser habe sich während des Lockdowns verdoppelt – ein Ziel, das man sich beim schwedischen Möbelhaus eigentlich für die nächsten drei Jahre gesteckt hatte. Die Zahlen betreffen nicht nur die Schweiz. Von Deutschland bis Amerika verzeichnen Baucenter und Unternehmen, die mit Einrichtung zu tun haben, steigende Umsätze.
Fürchten wir den Kontrollverlust?
Deutsche Essayisten spekulieren mit einer tiefsitzenden Angst vor Kontrollverlust. Und damit, dass der Mensch in unsicheren Zeiten wie den aktuellen sein Schicksal wieder vermehrt selbst in die Hand nimmt. Wenn die Welt auseinanderfällt, dann hämmere ich mir in der Küche immerhin ein neues Regal.
Psychologen sprechen vom übermässigen Konsum als Bewältigungsstrategie gegen die tiefsitzende Angst vor der unsichtbaren Bedrohung, Soziologen sprechen von einem Backlash, einer Rückbesinnung auf die guten, alten Zeiten, in denen die Familie noch etwas galt – und dass wir uns jetzt in dieser schnelllebigen, unsicheren, globalisierten Welt zurückziehen wollen in eine Scheinrealität von Entschleunigung, Nachhaltigkeit und Kleinräumigkeit.
«Diesen Gegentrend zur Digitalisierung und Globalisierung, sich wieder vermehrt in die eigenen vier Wände zurückzuziehen, beobachten wir schon länger», sagt Katja Rost, Soziologieprofessorin an der Universität Zürich. «Corona hat dieses Bedürfnis nur noch weiter verstärkt.» Durch die Rückbesinnung auf «gute, alte Zeiten», die sich auch im Backen von Brot, Apfelkuchen oder in der Nachbarschaftlichkeit zeigte, konnten wir die moderne Erlebnisgesellschaft, die uns beständig ablenkt und beschleunigt, kurz abbremsen.
«Corona hat hierfür die Gelegenheitsstrukturen geliefert. Wir haben uns sozusagen fast gezwungenermassen zurückbesonnen, weil wir die eigenen vier Wände gar nicht mehr verlassen konnten», sagt Rost. Wir werkeln und gärtnern, weil wir uns schlicht mehr zu Hause aufhalten. Und uns damit schneller klar wird: Um Gottes Willen, wie sieht es denn hier eigentlich aus! Deshalb sind unter anderem Bürostühle gefragt und neue Kücheneinrichtungen. Weil wir plötzlich empfänglicher sind für die Mängel, die uns jeden Tag umgeben. Durch diesen Prozess erfährt der private Bereich eine Aufwertung. Man schätzt ihn wieder mehr, will ihn gestalten, sieht auch das Positive an ihm.
Heimwerken befriedigt uns psychologisch
Fängt man dann an, rumzubohren und umzugraben, spürt man auch schnell mal: Handwerken macht zufrieden. Weil es das Wirksamkeitsmotiv bedient, wie es die Motivationspsychologie nennt. Der Mensch will wirken, er will erschaffen. Das ist ein ursprüngliches, menschliches Bedürfnis. Sind wir weniger unterwegs, können wir keine Präsentationen halten oder in der Bar unsere Witze reissen, fehlt plötzlich etwas. «Der Lockdown hat den Fokus ins Innere, ins Häusliche verlagert», sagt Motivationspsychologin Veronika Brandstätter von der Universität Zürich.
«Und auch hier wollen wir erleben, dass wir etwas erschaffen können. Nicht, um darin perfekt zu sein. Aber wir merken bei Dingen, mit denen wir uns aus Zeitmangel sonst nicht beschäftigen: Ich kann das ja auch! Das motiviert», sagt die Expertin. Etwas zu bauen, zu basteln oder umzugestalten macht nicht nur die eigenen vier Wände wertvoller, sondern befriedigt uns auch psychologisch.