
Das erste Mal hinter dem Steuer eines LKWs – Und dann brummt der 40-Tönner




SOMMERSERIE
Mein erstes Mal
In unserer Sommerserie wagen sich Redaktorinnen und Redaktoren an Dinge heran, die sie schon lange einmal ausprobieren wollten. Heute ist Emiliana Salvisberg als Lastwagenfahrerin unterwegs.
Schon Tage vor meiner ersten Lastwagen-Fahrstunde bin ich aufgeregt, wie schon seit Jahren nicht mehr. Herzklopfen und Schweisshände begleiten mich auf der Fahrt in meinem Skoda-Kombi nach Rothrist. Auf dem Firmengelände der Giezendanner Transport AG erwartet mich Benjamin Giezendanner. Der Geschäftsführer und Mitinhaber des Transportunternehmens ist heute mein Fahrlehrer. Wie viele Kilometer er als Lastwagenfahrer zurückgelegt hat, kann der 36-Jährige nicht beantworten. Während seines Studiums war Benjamin Giezendanner vorwiegend in der Schweiz unterwegs. Hamburg war bislang sein weitestes Ziel mit dem Lkw. «Diese Fahrt möchte ich unbedingt mit unserer Tochter Sophia einmal machen», sagt Benjamin Giezendanner.
Mir stehen bei meinem ersten Fahrversuch auf dem Giezendanner-Firmengelände zwar nicht etliche Kilometer bevor, dennoch pocht mein Herz schneller. Akkurat in einer Reihe stehen die sauber geputzten weissen Lastwagen. Auf mich wartet zuerst nicht ein Riese, sondern ein Wechselladekipper, kurz Welaki genannt. Damit ich ein Gefühl für den Kipper bekomme, darf ich für eine Ausfahrt mit Benjamin Giezendanner auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Konzentriert verfolge ich jeden seiner Handgriffe und stelle ihm viele Fragen. Zurück auf dem Firmengelände steigt mein Puls beim Aufstieg in die Fahrerkabine des 26-Tönners. Meine Aufregung kann ich nicht verstehen, schliesslich sitze ich seit über dreissig Jahren fast täglich hinter dem Lenkrad. Mein Kombi ist aber vergleichsweise kompakt, übersichtlich und einfach einzuparken.
Mulde auf den Kipper laden
Bevor ich mit dem Halbautomaten losrollen darf, gilt es den Sitz und die Spiegel für mich passend einzustellen. Dann drehe ich den Zündschlüssel und der 480 PS starke Motor dröhnt. Ich löse die kleine Handbremse, die sich am Armaturenbrett rechts neben dem Lenkrad befindet, lasse die Kupplung kommen und gebe sanft Gas. «Das ist gar nicht so schwer», sage ich begeistert. Doch mit Geradeausfahren ist es für mich nicht getan. Benjamin Giezendanner manövriert mich durchs Firmengelände. Die Schwierigkeitsgrade steigen. Das späte Einlenken beim Abbiegen fordert mich ebenso wie das Einschätzen des Gefährts. Dann gilt es für mich, den Kipper rückwärts einzuparken. Dies gelingt ebenso wie die nächste Aufgabe: Den Kipper rückwärts vor eine volle Mulde zu platzieren, um diese dann mit einem Steuerungsgerät aufzuladen. Bevor Fingerspitzengefühl gefragt ist, heisst es für mich Sicherheitsweste und Handschuhe anziehen, Mulde befestigen, Position der Mulde kontrollieren und aufladen.
«Geschafft», freue ich mich. Doch Ausruhen ist noch nicht angesagt. Ich darf einen richtigen «Brummer» lenken. 40 Tonnen schwer, 3 Meter hoch, 2,5 Meter breit ist das Gefährt mit 460 PS. Wie leistungsstark der Lkw ist, erahne ich und gebe mässig Gas. Augenmass ist gefragt, denn ich sitze in zwei Meter Höhe. Besonders die Breite des Lkw ist beeindruckend und erfordert, alles im Blick zu haben. Das Rückwärtsfahren, diesmal mit voll beladenem Anhänger, ist kein Leichtes, denn als Hilfe gibt es keinen Rückspiegel, dafür Seitenspiegel.
Benjamin Giezendanner ist mit meiner Leistung zufrieden und ermuntert mich weiterzumachen: «Frauen als Fahrerinnen sind gefragt.» Spass hat es mir gemacht, mehr als ich dachte. Nach der interessanten Einführung bin ich glücklich, aber dennoch froh, in meinen geradezu leisen Kombi zu sitzen und heimfahren zu können. Stundenlang am Steuer zu sitzen und quasi auf der Strasse zu leben, das liegt mir nicht im Blut.
Bilder: Martin Zürcher

