Das Strengelbacher Zugpferd: Wie alt-Grossrat Stephan Wullschleger zum Gemeindepolitiker wurde

Eigentlich hatte Stephan Wullschleger seine Politkarriere hinter sich, als er sich 2009 vom Grossen Rat verabschiedete. So dachte er zumindest. Acht Jahre lang hatte der Strengelbacher die SVP Zofingen im Kantonsparlament vertreten. Er sah sich als Politiker der Legislativen, im Gemeinderat zu politisieren konnte er sich damals nicht vorstellen. Auch, weil er im Ort eine Firma Bedachungsarbeiten und Holzbau betreibt. «Ich fürchtete, eine Angriffsfläche zu bieten, wenn ich im selben Dorf Unternehmer und Gemeinderat bin. Und ich hatte zu grossen Respekt davor, Empfänger für die vielen Probleme der Bewohner zu werden.» Dabei war er prädestiniert für einen Lokalpolitiker: Er war Präsident der SVP-Ortspartei, engagierte sich in der Jugendarbeit der reformierten Kirche, war in der Jugendkommission und stieg in der Feuerwehr bis zum Vizekommandanten auf. Den «Wulli» kannte in Strengelbach jeder. Er aber hatte sich damals geschworen: «Ich gehe nie in den Gemeinderat.»

Aber er ging doch. Fünf Jahre nach dem Ausschied aus dem Grossen Rat war Stephan Wullschleger Ammann von Strengelbach. Und es sieht so aus, als ob der heute 50-Jährige länger im Gemeinderat sein wird als er im Grossen Rat war, denn am 26. September tritt er zur dritten Amtsperiode an. Die Geschichte, wie es zum Umdenken kam, ist bekannt. Mehreren Parteien hatten im Herbst 2013 Mühe mit den drei Bisherigen, die sich für die neue Amtsperiode zur Wahl stellten. Man wollte eine Gruppe von fünf Neuen bilden, die eine neue Ära einleiten sollten. Als SVP-Präsident hatte Wullschleger einen Kandidaten parat – doch das Dorf wollte lieber ihn selber. Auch Parteikollegen sagten ihm damals: «Es braucht dich als Zugpferd.»

«Man muss lernen, sichzurückzuhalten»

Nach acht Jahren als Zugpferd ist er des Amts noch nicht müde – trotz früherer Aversion. Als er damals sagte: «moll, ich machs», wollte er es richtig machen. Und richtig bedeutete für ihn, das Dorf und seine Bewohner zu unterstützen. Zum Glück habe er von Beginn an auf viel Unterstützung von der Bevölkerung zählen können. Aber auch für Kritik wollte und will er empfänglich sein. Kein leichter Vorsatz, bedenkt man, wie emotionsgeladen viele Gemeindegeschäfte sind. «Man muss lernen, sich zurückzuhalten, sich den Sachverhalt nochmals vor Augen zu führen, statt erzürnt zu antworten», sagt er.

Kann Wullschleger einem Kritiker ein Geschäft nicht aus dem Stehgreif erklären, so macht er sich auch mal die Mühe, diesen zu Hause aufzusuchen, nachdem er sich eingelesen hat. Es erstaunt, dass er genügend Zeit findet für diese pflichtbewusste Auslegung seines Amts. Neben der Politik und dem eigenen Unternehmen hat er mit seiner Frau fünf Kinder gross gezogen, die heute zwischen 19 und 29 Jahre alt sind.

Im Gegenzug setzt der Ammann Mindestansprüche an die Strengelbacher: «Der Bürger darf mich gerne bei Kritik anrufen, aber wir vom Gemeinderat erwarten, dass er zuvor alle Informationen gelesen hat.» Denn eine Diskussion über ein Geschäft könne erst stattfinden, wenn auch der Kritiker den ganzen Hintergrund kenne.

Wullschleger hinterfragt seine Handlungen aber auch ohne Anstoss von Einwohnerseite. Da wäre das ewige Thema des Dalchenbachs, der die Gemeinde jährlich mindestens 50 000 Franken kostet, weil er in die ARA fliesst. Da wäre der geplante neue Gemeindesaal, der je nach Entscheid des Souveräns weniger teuer (Umbau der heutigen Turnhalle) oder teuer (Neubau) wird. «Ist man frisch im Gemeinderat, denkt man, man kriegt die Geschäfte im Nu durch, denkt, man sei besser als seine Vorgänger», sagt er und schmunzelt über seine damalige Anfängernaivität. Dies, obwohl das Dorf bei seinem Einstand als Ammann schon seit über 20 Jahren nach einer Lösung suchte. Betreffend Gemeindesaal sei es ihm ähnlich ergangen. An der nächsten Wintergmeind dürften die Strengelbacher nun aber über den Saal entscheiden können. Die Umbau- und die Neubauvariante wird im September den Parteien und Vereinen vorgestellt, am 27. Oktober entscheidet der Souverän. Der Ammann wird sich für einen Neubau einsetzen, auch, weil mit einem Neubau dem Wunsch vieler Bewohner nach einem markanten Dorfzentrum entsprochen würde. Am Ende, sagt er, würde er aber jeden Gmeindsentscheid akzeptieren.

Aus den Ausführungen des Ammanns wird klar: Er will der Gemeinde mit dem neuen Saal etwas Nachhaltiges bieten und etwas, das dem Dorf Charakter gibt. «Ein Neubau ist eine Chance für Strengelbach», sagt er. Ein Ja zum Neubau könnte jedoch längerfristig eine Erhöhung des Steuerfusses bedeuten. Die genauen Auswirkungen wird der Gemeinderat noch aufzeigen. Wullschleger ist sich bewusst, dass beide Varianten Anhänger haben werden, die bereit sind, zu kämpfen. Er zeigt, dass er seine Leute genauso gut kennt, wie sie ihn kennen, als er sagt: «Ich rechne mit einem Referendum».

Keine Aufschreie wegen Sackgebühren erwartet

Zuvor könnte aber noch eine kleineres Geschäft Wellen schlagen. Diese Woche hat die Gemeinde vermeldet, dass sie die Kehrichtsackgebühren markant erhöhen wird. Ab 2022 wird der Sack-Tarif um 50 Prozent, die Grundgebühr um 60 Prozent teurer. Eine 35-Liter-Rolle wird statt 11.55 Franken neu 17.35 Franken kosten. Wullschleger geht jedoch nicht davon aus, dass sich die Strengelbacher daran erschrecken. «Wenn man die Bevölkerung korrekt informiert, verstehen sie den Schritt. Wir mussten die Gebühren in der Vergangenheit senken, um Vermögen abzubauen. Weil nun Anschaffungen fällig sind, müssen wir wieder rauf.» Zudem blieben die Gebühren immer noch günstiger als in den meisten Gemeinden der Region.

Zwei Gemeinderäte, die 2013 mit Stephan Wullschleger gewählt wurden, treten im Herbst nicht mehr an. Vizeammann Marco Hauri (SP) sowie Karin Nauer (CVP) verlassen das einstige Sprengkandidaten-Team. Für wie viele Amtszeiten hat Wullschleger noch die Kondition? «Diese Legislatur mache ich bestimmt noch fertig», sagt er. «Danach schauen wir.»