
Der Daumen zeigt, ob hinter der Maske noch genug Luft bleibt
Wer zu spät kommt, muss Liegestützen machen. Trainiert wird barfuss und im weissen Anzug, dem Gi. Die Regeln sind klar im Karateclub Strengelbach. Seit Corona kamen weitere hinzu. «Wer die Halle betritt, muss die Hände desinfizieren und eine Maske tragen», sagt Dolores Emmenegger, Vereinspräsidentin und Karate-Lehrerin. Die Luzernerin war 21 Jahre im Nationalkader, sammelte 34 Schweizer-Meister-Titel und vier WM-Medaillen. Doch auch für «alte Hasen» wie sie sind Trainings wie derzeit Neuland. «Du kannst die Leute nicht fassen, wenn du ihre Mimik nicht siehst. Das macht es schwierig, einzuschätzen, ob du mehr fordern kannst.» Sie sieht zwar die Schweissperlen auf der roten Stirn, muss aber fragen: «Geht es euch gut? Daumen hoch oder runter?»
Einen Daumen hoch gibt es von Schwarzgurtträgerin Anita Klaus. Sie betreut mit Dolores Emmenegger nachmittags den Karate-Nachwuchs und absolviert danach selber das Training. «Es ist nicht komplett anders als sonst, aber etwas einseitiger, weil Partnerübungen wegfallen», sagt sie. Eigentlich baut das Karatetraining auf drei Säulen auf: Kata (Scheinkampf), Kihon (Grundschule der Techniken) und Kumite (Vollkontaktkampf). Kumite ist gemäss Schutzkonzept tabu. Kata und Kihon seien aber auch mit Distanz zu anderen umsetzbar, betont Dolores Emmenegger: «Wir haben also genug, woran wir arbeiten können.» Spass mache es, obwohl sich das «Tuch» vor Mund und Nase bei Atemzügen an den Lippen festsauge und so alles deutlich anstrengender sei, betont Anita Klaus, «ich brauche viel länger, bis meine Atmung nach intensiven Übungen wieder auf normalem Level ist.»
Die limitierten Plätze für das Training sind schnell weg
Normal üben am Mittwochabend 20 Karatekas dicht beieinander. Nun ist die Gruppengrösse auf 15 Leute inklusive Lehrpersonen beschränkt. Via WhatsApp-Chat sichert man sich nach dem Motto «first come, first serve» die Teilnahme. Vor Ort markieren bunte Hütchen im Abstand von drei Metern die Plätze. Nach Gurtfarbe eingeteilt, dribbeln die vier Männer und neun Frauen um ihr Hütchen, führen Kicks und Schläge aus, schwitzen bei Kräftigungsübungen. Immer in der Nähe ihres Hütchens praktizieren die Karatekas Grundtechniken, die Dolores Emmenegger mal im Plenum, mal individuell korrigiert. Das eineinhalbstündige Training endet mit «Renraku». Die Kombination von Techniken, Schlägen, Tritten und Schrittfolgen läuft man eigentlich als Scheinkampf gegen einen Partner. Corona-konform stellen sich die 13 Frauen und Männer aber alle in dieselbe Richtung blickend und voneinander entfernt auf. So wirkt «Renraku» wie eine synchrone Gymnastikdarbietung.
Wer zur Risiko-Gruppe gehört oder Asthma hat, pausiert
Im Gegensatz zu den Karatekas ist es vielen Breitensportlern zu aufwändig, ihr Training den Schutzkonzepten von Kantonen, Gemeinden, Hallen, Verbänden und ihrem Verein anzupassen. Mannschaftssportler pausieren, weil ihre Sportlektionen ohne Körperkontakt weniger Nutzen bringen, als individuelle Joggingrunden. Andere sehen ein Risiko, trotz Vorsichtsmassnahmen in Quarantäne zu müssen oder sich anzustecken. «Auch bei uns verzichtet, wer zu einer Risikogruppe gehört oder Asthma hat und zu wenig Luft kriegt beim Sport mit Maske», so Dolores Emmenegger, «aber wer da ist, hält sich an dieselben Spielregeln wie am Arbeitsplatz und hat nichts zu befürchten.» Als Spitex-Mitarbeitende ist sie sich der Lage ebenso bewusst wie Anita Klaus, die in einer Apotheke tätig ist. Letztere sagt: «Ich gehe nicht mit Angst durch den Alltag, ich könnte mich hier oder dort anstecken, sondern mit Respekt vor Massnahmen, die momentan zum Leben gehören. Wie eine Maske im Training.» Diese ziehen die Schüler nur herunter, um einen Schluck aus ihrer persönlichen Flasche zu trinken.
Solange es die behördlichen Bestimmungen erlauben, lässt der Karateclub Strengelbach die Lektionen laufen. «Die Klassen sind voll, im Nachwuchsbereich werden wir überrannt. Es scheint ein Bedürfnis zu sein, in die Halle zu kommen», sagt Dolores Emmenegger, «wegen des Karates, aber auch wegen des sozialen Aspekts, um respektvoll distanziert die Freundschaft zu pflegen und voneinander zu lernen.»