Der Kampf gegen invasive Arten soll Sache des Kantons sein – doch nicht jedes Unkraut ist ein Neophyt

Für gebietsfremde Tiere und Pflanzen soll es im Aargau ungemütlich werden. Knapp 15 Millionen Franken über sechs Jahre will der Regierungsrat in ihre Bekämpfung investieren. Bis anhin werden Neobiota – also Neophyten und Neozoen – wie Asiatischer Laubholzbockkäfer, Schwarzmeergrundel, Goldrute oder Berufkraut durch den Kanton punktuell angegangen, obwohl der Regierungsrat bereits 2010 eine kantonale Strategie verabschiedet hat.

Die heute verfügbaren finanziellen und personellen Ressourcen reichten nicht aus, um die invasiven Arten effektiv zu bekämpfen, schrieb Landammann Stephan Attiger im Begleitbrief zur Vernehmlassungsbotschaft. «Die Folge: Neobiota breiten sich im Kanton Aargau weiter aus, der volkswirtschaftliche Schaden steigt.»

Parteien sehen sehr grossen Handlungsbedarf

Vom 1. Juli bis Ende September dauerte die Anhörung bei Verbänden, Gemeinden und Parteien. Das Vorhaben geht auf einen Vorstoss der Grossräte Ralf Bucher und Andre Rotzetter (beide Die Mitte) sowie Bauernverbandspräsident Christoph Hagenbuch (SVP) zurück. Sie forderten eine verstärkte und koordinierte Umsetzung der Neobiota-Strategie. Der Grosse Rat überwies die Motion im Dezember 2020 stillschweigend.

Auch jetzt sind sich die Parteien insgesamt und im Grundsatz einig: Der Handlungsbedarf sei sehr hoch, Neophyten sollen koordiniert und frühzeitig wirksam bekämpft werden, geben die grösseren Parteien alle in ihren Antworten an. Es ist unumstritten, dass der Kanton Aargau gegen invasive Arten vorgehen muss und dafür Geld benötigt.

Bauernverband will Ackerkratzdistel bekämpfen

Es zeichnen sich aber auch Diskussionen ab – etwa zum Thema Ackerkratzdistel. Der Aargauische Bauernverband (BVA) fordert, dass im gleichen Zug wie die Neophyten auch die einheimische Problempflanze bekämpft wird. Die Ackerkratzdistel ist für Landwirte, Hobbygärtner und Werkhöfe ein Problem. «Einmal etabliert, ist die Ackerkratzdistel nur sehr schwer und nur durch den Einsatz von Herbiziden langfristig wieder in den Griff zu bekommen», heisst es in einer Broschüre des BVA. Oberirdisch stirbt die Pflanze im Winter ab, das Wurzelgeflecht überlebt aber.

Dass man gegen die Pflanze vorgehen muss, findet auch der Regierungsrat, zumindest teilweise. Die Bekämpfung von Problempflanzen solle in ausgewählten Schwerpunktgebieten angrenzend an Ackerbauflächen ebenfalls erfolgen, heisst es im Anhörungsbericht.

Die Ackerkratzdistel ist ein Kulturfolger, kein Neophyt

Das geht anderen zu weit. Denn die Ackerkratzdistel ist kein Neophyt, sondern ein Apophyt, also ein Kulturfolger, der sich seit über 7000 Jahren dort ausbreitet, wo Menschen Land roden und Ackerbau betreiben. «Wir und die Landwirtschaft haben bisher mit der invasiven Ackerkratzdistel gelebt und appellieren in diesem Zusammenhang an die Biodiversität», schreibt die FDP in ihrer Vernehmlassungsantwort.

Aufwand und Kosten für die Bekämpfung von einheimischen Problempflanzen sollen zudem weiterhin durch freiwillige Arbeit und insbesondere die Landwirtschaft selbst getragen werden. Dass in der Anhörungsbotschaft Massnahmen zur Lösung des Zielkonflikts zwischen Biodiversität und der Bekämpfung invasiver Arten fehlen, kritisiert die FDP.

«Keine Bekämpfung der Ackerkratzdistel», halten auch die Grünen fest. Die Pflanze dürfe in keinem Fall zu den Neophyten gezählt werden. Disteln seien wertvolle Nektarträger für Wildbienen und andere Insekten und darum wichtig für die Biodiversität, halten sie auf Anfrage fest. Weder Die Mitte noch die SVP äussern sich explizit zur Ackerkratzdistel. Das Anliegen des BVA dürfte aber mindestens durch dessen Präsidenten Christoph Hagenbuch und Geschäftsführer Ralf Bucher dereinst mit in die Grossratsdebatte einfliessen.

SVP sieht auch SBB und Astra in der Pflicht

Ein echter Neophyt, der sich besonders in den letzten Jahren stark ausgebreitet hat, ist das Einjährige Berufkraut. Es ähnelt äusserlich der Kamille, stammt aus Nordamerika und kam als Gartenpflanze nach Mitteleuropa. Seine Früchte mit den Samen werden vom Wind kilometerweit fortgetragen, dem Kraut fällt es darum leicht, sich zu vermehren. Giftig ist es nicht, aber Kühe meiden es. Auch darum verdrängt es andere Pflanzen.

Der Kampf gegen das Einjährige Berufkraut hat längst begonnen. Viele Aargauer Gemeinden rufen die Bevölkerung zur Mithilfe auf, um eine weitere Verbreitung zu minimieren. Diese Bemühungen seien leider häufig umsonst, findet die SVP. «Hauptzüchter» des Krauts sei die öffentliche Hand mit ihren «Vermehrungsflächen» an Kantonsstrassen, Autobahnen und Bahnborden. «Wenn die entsprechenden Akteure das Problem nicht in den Griff kriegen, ist jede weitere Bekämpfung hinausgeworfenes Geld», hält die Partei fest. Am allerwichtigsten sei, dass der Kanton zusammen mit Astra und SBB dafür sorgt, dass an den Rändern der Verkehrsinfrastruktur ab sofort keine Neophyten mehr gezüchtet werden.

GLP will Neobiota-Beauftragte in den Gemeinden

Ganz dem Kanton überlassen wollen die Parteien die Neophytenbekämpfung nicht. Auch Grundeigentümer, von deren Land sich die Arten weiterverbreiten könnten, sollten in die Pflicht genommen werden, findet die SP. Gemeinden sollen einen «Neobiota-Beauftragten» bestimmen, schlägt die GLP vor. Das Gemeindekonzept würde auch die Grundstücke der SBB, des Kantons und des Astra umfassen. «Gelder werden nur zielführend eingesetzt, wenn man rechtzeitig und koordiniert auf der ganzen Gemeindefläche vorgeht», so die Partei. Isolierte Aktionen seien nicht nachhaltig.