
Der neue SAC Präsident über den Bergsport und dessen Geschichte: «Hut ab vor den Alpin-Pionieren»
Wer mit dem 62-Jährigen spricht, stellt rasch fest, dass ihm die Geschichte des Bergsports und des SAC vertraut ist, so auch der Gründungsgedanke «seines» Clubs. Der nämlich wurde 1863 in Olten gegründet und sorgt seither für die Popularisierung des Alpinismus bis hinunter ins Flachland. Richtig, die Rede ist da vom Schweizer Alpen-Club, umgangssprachlich meist einfach SAC genannt.
Bewandert in alpiner Geschichte
Seit einem Monat steht Stefan Goerre, Kardiologe mit Praxis in Olten, dem SAC vor. «Damals wollten die Gründer verhindern, dass die höchsten Schweizer Berge ausschliesslich von ausländischen Bergsteigern erobert werden», sagt Goerre. «Das waren meist vermögende Briten, die sich vier, fünf Monate im Jahr in den Alpen aufhalten, einige trittsichere und ortskundige Einheimische als Träger und Führer unter Vertrag nehmen und die Erstbesteigung der schönsten Schweizer Gipfel vorantreiben konnten.» Edward Whymper war zwar in diesen Kreisen Aussenseiter, dafür aber umso ehrgeiziger und hat so den schweizerischen und italienischen Konkurrenten die prestigeträchtige Erstbesteigung des Matterhorns weggeschnappt.
Unklar, was sich auf dem Gipfel abspielt
Der frisch gebackene SAC-Präsident wertet diesen historischen Hintergrund des Clubs aber in keiner Weise. Vielmehr streicht er die ausserordentlichen Leistungen dieser Pioniere hervor.
«Die wussten ja gar nicht, was sie auf dem Weg zum Gipfel und auf dem Gipfel selbst antreffen würden.»
Sauerstoffknappheit? Geister und Dämonen auf dem Gipfel? Das waren konkrete, damals von den Einheimischen geäusserte Befürchtungen. «Von der damaligen Ausrüstung wollen wir gar nicht sprechen», schiebt er nach. Sicher ist lediglich: Menschenleben zählten im Alpinismus der Anfangsjahre eher weniger, der Pioniergeist und der Gipfelerfolg umso mehr. «Bergvagabunden» sangen wir noch in der Schule. «Mit Seil und Haken, den Tod im Nacken, hängen wir an der steilen Wand, ja Wand.» Der SAC heute?
«Wissen Sie, der SAC setzt heute alles daran, dass die Bergsportler sicher auf den Gipfel und anschliessend gesund wieder ins Tal kommen und ein schönes Bergerlebnis haben»,
sagt Goerre. Heldentum hat hier keinen Platz mehr. Knapp 170 000 Mitglieder zählt der SAC mittlerweile und ist damit der viertgrösste Sportverband der Schweiz. Und: «Die Zahlen sind steigend», stellt Goerre erfreut fest. Dass noch mehr Junge und Jugendliche den Zugang zum SAC finden: eine seiner Zielsetzungen für die nächsten Jahre. Ein anderes Anliegen ist ihm der mit den Aktivitäten verbundene Auftrag, der Natur Sorge zu tragen. Man wolle ja als Alpinist auch in Zukunft noch über Gletscher aufsteigen und abfahren können, sagt er nachdenklich.

Stefan Goerre auf dem «Gurbsgrat» bei einer Skitour im Diemtigtal.
Obwohl: «Der sorgsame Umgang mit der Natur war uns selber in jungen Jahren nicht immer genügend bewusst», gesteht Goerre. «So sind wir recht unbekümmert mit dem Auto nach Chamonix, dann ins Wallis, später in die Dolomiten gefahren, wo halt gerade Wetter und Verhältnisse gut waren.» Das würde er heute natürlich nicht mehr machen.
«Wir sollten auch bei der Anreise zu den Bergen auf Natur, Klima und Umweltschutz Rücksicht nehmen.»
Eine weltumspannende Faszination
Kommt hinzu, dass der Bergsport mittlerweile weltumspannend geworden ist. Schier Unzählige drängen sich heute in den Basislagern am Fusse der Achttausender, um noch, unterstützt vom Sherpa, «im Schneckentempo», wie Goerre sagt, den Gipfel in dünner Luft zu erreichen. «Das wäre mir zu viel Wartezeit und Leiden und zu wenig Fun», sagt er, der lieber zügig vorwärtskommt, interessante Kletterstellen überwindet und den Gipfel so erreichen möchte, dass noch Reserven vorhanden sind, um den Rückweg sicher im Griff zu haben. Wohl ein Grund, warum sein höchster Gipfel nicht im Himalaja, sondern im Kaukasus zu finden ist, wo er den Elbrus (5600 m) bestieg.
«Warum in ferne Gebirge schweifen, wenn das gute (Bergerlebnis) so nah liegt», lautet heute die Devise des Mannes, der nebenher alle Viertausender der Schweiz bezwungen hat. Goerre winkt ab. «Ach, das ist nicht wirklich ein Markenzeichen. Ich habe viele Bergtouren gemacht weit unter der magischen Viertausender-Grenze, die deutlich mehr Klettertechnik und Ausdauer erfordert haben als die meist recht einfachen Normalwege auf die Viertausender.»
Was Bergsteigende mitbringen
Welch typischen Eigenschaften finden sich denn bei Bergsteigerinnen und Bergsteigern? Die Antwort kommt prompt: «Eine Affinität zur Natur, eine gewisse Abenteuerlust und Neugierde und die Bereitschaft, ab und zu die Komfortzone zu verlassen und rasch und zielorientiert handeln zu können.» Was also tun, wenn einen das Kletter-Virus ansteckt? Goerre empfiehlt ein schrittweises Herantasten.
«Am besten macht sich die Person in einer Kletterhalle unter Anleitung ganz locker mit den elementaren Kletter- und Sicherungstechniken vertraut.»
Dann folgt der Schritt ins Freie. Und da biete die Region Olten gute Gelegenheit. «Warum sich nicht an einem Frühlingsabend an einer einfachen Route im hiesigen Säli-Klettergebiet versuchen?», meint er.
Goerre kennt ein Leben neben dem Bergsteigen
Dass in seiner eigentlichen Heimsektion, dem SAC Olten, niemand von seiner Kandidatur wusste, passt zum Wesen des 62-Jährigen. Er hängt, wie man so schön sagt, nichts an die grosse Glocke. «Die Funktionärsrolle war nie ein Ziel; das hat sich letztlich auch über einige Zufälle ergeben.» Er möchte auch als SAC-Präsident weiter aktiver Kletterer und Alpinist bleiben. Und: Es gibt für ihn ein Leben neben dem Bergsteigen:
«Ich bleibe mit Herzblut im Hauptamt Kardiologe und werde mich wie bis- her für meine Herzpatientinnen und Herzpatienten einsetzen.»
Dennoch: Nach seinen nächsten Plänen befragt, ist der seit bald 50 Jahren im Bergsport verankerte Mann in Gedanken wieder in den Bergen: «Also grössere Touren sind im Oktober passé. Aber im kommenden Jahr zieht es mich nach Hochsavoyen, wo Grand Dru und Petit Dru warten.» Wer die beiden Spitzen kennt, weiss: steile Granitgrate und -wände, die von eindrücklichen Gletschern umgeben sind – alles, was den Alpinisten fasziniert.
Ob solcher Pläne drängt sich die Frage auf, ob er denn mit 62 Jahren noch keine Einschränkungen kenne. Goerre: «Ich habe bislang Glück gehabt, habe gute Gelenke und einen gesunden Rücken. Ich kann noch alles machen, allerdings sicher etwas langsamer als noch vor zehn Jahren.» Und er fügt lachend hinzu: «Anders gesagt, die Wände werden immer steiler und die Berge immer höher.»