Der Tod als Ausbildungsthema

Rund 60 Steine malten die Lernenden des Sennhofs an.
Rund 60 Steine malten die Lernenden des Sennhofs an.

Das erste Mal war Ramona Crivelli als 8-Jährige mit dem Tod konfrontiert. 2008 starb ihr Grossvater an Lymphdrüsenkrebs. Die heute 20-Jährige erinnert sich gut daran zurück. «Ich wusste nicht, was Krebs war. Ich wusste nur, dass es beim Grosspapi nicht mehr ums Heilen geht.» Vollgepumpt mit Morphin verbrachte er seine letzten Tage zum Teil in einer anderen Welt – die kleine Ramona musste sich bei Besuchen dem Grossvater anpassen. «Sah er Soldaten vor seinem Bett vorbeimarschieren, musste ich sie auch sehen.»

Heute sind der Tod und das Abschiednehmen Teil ihrer Ausbildung und des Berufsalltags. Ramona Crivelli absolviert die Ausbildung zur diplomierten Pflegefachfrau an der Höheren Fachschule Gesundheit und Soziales in Aarau. Angestellt ist sie im Alters- und Pflegheim Sennhof in Vordemwald, wo sie letztes Jahr ihre Lehre als Köchin beendete, nachdem sie diese in einem Gastrobetrieb begonnen hatte. «Im letzten Lehrjahr wusste ich, dass ich die HF machen will», so Crivelli. Während ihrer Ausbildung zur Köchin kam sie immer wieder in Kontakt mit dem Pflegepersonal und den Bewohnern des Sennhofs. Einen Kontakt, den sie sehr schätzt. «Es macht mir unglaublichen Spass, mit den Bewohnern zu sprechen.»

Nach einem halbjährigen Praktikum im Sennhof – direkt nach ihrem Lehrabschluss – begann sie im Frühling ihre HF-Ausbildung. Im ersten Semester, welches Crivelli in der Schule verbrachte, war der Tod ein ständiges Thema. «Wir haben alles rund ums Thema Sterben behandelt, etwa, wie wir mit den Angehörigen umgehen.» Seit sie im Sennhof im Pflegebereich arbeitet, verstarben zwei Patienten, die sie mitgepflegt hat. Beim ersten Tod hatte sie frei, wollte aber einen Anruf erhalten, wenn das Unvermeidbare eintritt.

Ramona Crivelli führte die letzte Pflege aus

Der zweite Todesfall ereignete sich an einem Freitagabend, etwa eine Viertelstunde, bevor Crivellis Schicht zu Ende war. «Der Patient war nur eine kurze Zeit bei uns und immer sehr distanziert. Er wollte bei uns einfach in Ruhe sterben – das hat man gemerkt.» Am Freitagmorgen pflegte ihn Ramona Crivelli noch zusammen mit einer bereits diplomierten Pflegefachfrau. Da war den beiden bereits klar, dass der Tod demnächst eintreten wird: Der Patient reagierte zwar noch, als sie ihn ansprachen, selbst redete er aber nicht mehr. Bis zum Nachmittag verschlechterte sich sein Zustand. «Die Atmung war angestrengt und nur noch oberflächlich», erinnert sich Ramona Crivelli zurück. Nach und nach waren nur noch die lebenswichtigen Organe im Einsatz. Sie blieb eine Zeit lang an der Seite des Sterbenden, sprach mit ihm und hielt seine Hand. Dann zog sie sich zurück. «Ich habe gemerkt, besonders durch seine bis zum Schluss distanzierte Art, dass er einfach alleine sterben wollte.» So war es auch bei ihrem zweiten Grossvater, der starb, als Crivelli 14 war. «Er wollte niemanden bei sich haben.»

Kurz vor dem Ende ihrer Schicht an dem Freitagabend waren plötzlich die Hausleitung und die Angehörigen auf den Gängen der Abteilung unterwegs. Crivelli wusste, was das bedeutete. Zusammen mit einer Pflegefachfrau führte sie die letzte Pflege des bereits Verstorbenen aus. Freiwillig. «Ich wollte das. Als Lernende hätte ich problemlos sagen können: ‹Ich will das nicht.› Aber ich wollte, um es zu lernen.» Sie zogen dem Patienten alle Zugänge, wie etwa Venenkatheter, rasierten und wuschen ihn. «Halt was auch bei einem Lebenden anstehen würde.»

Lernende malten Steine für Verstorbene an

Rund eineinhalb Stunden nach ihrem eigentlichen Schichtende fuhr sie nach Hause. Erst da realisierte sie, was sie eigentlich den ganzen Tag erlebt hatte. «Plötzlich fühlte ich mich eingesperrt und musste raus.» Crivelli traf sich mit einer Kollegin. Einfach nur, um zu reden. «Das hat extrem geholfen.»

In den letzten eineinhalb Jahren verstarben rund 60 Personen auf dem ‹Sennhof›. Um den Abschied gebührend zu feiern, findet heute Samstag – ein Tag vor Allerheiligen – eine kleine Andacht statt. Organisiert und durchgeführt von den Lernenden des Betriebs. Normalerweise wären zu so einem Anlass auch die Angehörigen der Verstorbenen eingeladen. Aus bekannten Gründen ist dies heuer aber nicht möglich.

Dafür malten die Auszubildenden diverse Steine bunt an – pro verstorbene Person einen Stein. Während der Andachtsfeier werden diese auf dem heimeigenen Friedhof platziert. Die Angehörigen können dann ab Allerheiligen bis zur ersten Dezemberwoche einen Stein, der sie besonders anspricht, als Andenken mit nach Hause nehmen.

«Ich habe meine Steine nicht für jemanden Spezielles angemalt», so Ramona Crivelli. «Ich habe aber an die Momente mit den beiden Verstorbenen gedacht, die ich mit ihnen geteilt habe.»

Die Steine wurden auf dem heimeigenen Friedhof platziert.
Die Steine wurden auf dem heimeigenen Friedhof platziert.