Der Wahnsinn mit den Staus

Im Interview mit meinen Kollegen sagt Baudirektor Stephan Attiger ein paar Sätze, die zu reden geben werden (Seite 34). Es geht um ein Thema, das fast alle ärgert: überlastete Strassen, Staus, Züge, die aus allen Nähten platzen.

Verkehrsdiskussionen werden – leider – politisch zu aufgeladen geführt. Wer gegen schikanöse Geschwindigkeitskontrollen aufbegehrt und gerne PS-starke Autos fährt, gilt manchen Linken schon als Raser. Wer grossflächige Tempo-30-Zonen fordert, gilt manchen Rechten schon als Autohasser und Gewerbefeind. Das ist natürlich Chabis, aber so ticken manche (Politiker)köpfe. Wenn wir die Prognosen anschauen, wird es helfen, die Herausforderungen mit möglichst viel kühlem Pragmatismus anzugehen. Bis 2030 werde der motorisierte Verkehr nochmals um 20 bis 30 Prozent, der öffentliche Verkehr bis zu 50 Prozent zunehmen. «Wahnsinnig» sei das, sagt Stephan Attiger im Interview – und er hat recht. Wer viel im Auto unterwegs ist, weiss: manchmal braucht es nur ein bisschen zusätzlichen Verkehr, dass fast alles steht. 20 oder gar 30 Prozent mehr Autos und LKWs heisst also: Die Stunden, in denen der Verkehr kollabiert, nehmen massiv zu. Um die Verkehrsströme künftig zu managen, bringt Attiger das Mobility Pricing ins Spiel: Um 7 Uhr kostet die Fahrt durch den Baregg mehr als um 9 Uhr – egal, ob man im Zug oder Auto unterwegs ist. Aus Umfragen weiss man, dass die Bevölkerung skeptisch ist; und Kritiker sagen, Mobility Pricing generiere eine Zweiklassengesellschaft. Nur: Ist die Zweiklassengesellschaft bei den SBB nicht längst Realität? Wer es sich leisten kann, den Spitzenzeiten auszuweichen, fährt dank Spartickets günstiger.

Ich bin der Letzte, der beim Stichwort Mobility Pricing applaudiert. Autofahrer werden heute schon genug zur Kasse gebeten. Und neuen Abgaben soll man mit höchster Skepsis begegnen. Auf der anderen Seite ist klar: Irgendwo werden wir den Hebel ansetzen müssen, wenn wir die Spitzen brechen wollen. Zu pragmatischen Lösungen jenseits von ideologischen Grabekämpfen gibt es wohl nur eine Alternative, und die finde ich nicht so toll: eine Stau-Schweiz, in der man sich nach den Zuständen im 2018 zurücksehnt.