Deutscher Virologe Drosten sieht Schulen weiterhin als Infektionsgefahr – Schweizer Experten widersprechen

Der deutsche Virologe und Merkel-Berater Christian Drosten sorgt mit einem Tweet in Deutschland für Aufregung. Darin erwähnt er eine Studie aus England, welche die Raten der Coronavirus-Erkrankten vor Weihnachten und nach Weihnachten aufzeigt. Er weist darauf hin, dass in dieser englischen Region vor Weihnachten bei offenen Schulen die Covid-Rate bei den Schülern höher war. Während der Weihnachtsferien ging diese Prävalenz bei den Schülern zurück, während bei den Erwachsenen, also den Eltern, die Rate der Erkrankten anstieg. «Bestehen immer noch Zweifel an der Rolle des Schulbetriebs bei der Verbreitung von Sars-CoV-2?», fragt Drosten rhetorisch in seinem Tweet. 

Drosten hat schon im Frühling im Gegensatz zu den meisten Virologen und Infektiologen die Meinung vertreten, die Ansteckungsgefahr in Schulen sei gross. Im Gegensatz dazu hatten mehrere Studien während des Jahres gezeigt, dass Kinder zwar Verbreiter der Grippe sind, aber keine Treiber der Coronavirus-Infektion. Deshalb gelten weder Schulen noch Kitas als Hotspots. Das betonen auch die leitenden Infektiologen vom Ostschweizer Kinderspital. Studien zeigten, dass Übertragungen durch Kinder im gleichen Haushalt zwar möglich seien, aber selten vorkommen.

Infektion kommt selten von Kindern aus

Die Infektiologin Anita Niederer vom Kinderspital erwähnt je eine Studie aus der Schweiz und England, die zeigten, dass das Zusammenleben mit Kindern nicht zu vermehrten Ansteckungen führe, selbst wenn die Schulen geöffnet seien. Das werde auch durch die Beobachtungen im Alltag im Kinderspital bestätigt. «Bei den wenigen Kindern, welche ein positives Testresultat haben, gibt es in praktisch jedem Fall eine erwachsene Kontaktperson innerhalb von Familie, Verwandtschaft oder naher Umgebung mit bereits bestätigter Covid-Erkrankung», sagt Niederer. Fast nie sein ein Kind die erste positive Person in einer Familie, auch wenn es in Einzelfällen so sein könne.

Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin

Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin © Christophe Gateau / DPA

Drosten sieht Netzwerkfunktion

Drosten ist da anderer Meinung. In England habe das mutierte Virus durch die Schulen Fahrt bekommen und sich im Land verteilt. Schulen hätten eine Netzwerkfunktion, weil Schüler das Virus nach Hause brächten und Geschwister von dort wieder in die nächste Klasse. Schon im Frühling hatte er in einer eigenen Studie darauf hingewiesen, dass Kinder die gleiche Virenlast tragen können wie Erwachsene. Viele Experten waren aber im Gegensatz zu Drosten der Meinung, die Virenlast sage wenig über die Infektiösität von Kindern auf. 

Schulen und Kitas sind systemrelevant

Dass Kinder das Virus von der Schule nach Hause tragen können, bestätigt die Schweizer Studie «Ciao Corona». Allerdings wurden nur in vier von 130 Klassen im Kanton Zürich ein Ansteckungscluster entdeckt. Die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie hat vor zwei Wochen eine Stellungnahme publiziert, in der sie unter anderem festhält, dass Kinder in Gemeinschaftseinrichtungen zwar am Infektionsgeschehen teilnehmen, aber nach aktuellem Wissensstand selbst kein Treiber der Pandemie sind. Schulen und Kitas seien systemrelevant, weil sie im Kern die sozialen und intellektuellen Grundbedürfnisse treffen und die Entwicklung der Kinder bestimmten. Schulschliessungen könnten nur das letzte Mittel sein.

Massnahme mit geringer Wirkung und grossem Schaden

Auch die Infektiologen am Ostschweizer Kinderspital halten fest, dass Massnahmen wie Schulschliessungen nichts am Verlauf der Pandemie änderten, aber den Kindern ganz klar schadeten. Roger Lauener, Chefarzt am Kinderspital sagt: «Als Kinderärzte ist es uns ein Anliegen, dass nicht Massnahmen mit geringer Wirkung und grossem Schaden durchgesttzt werden, einfach weil Kinder keine Lobby haben, die sich für sie einsetzt.»