
«Die azb-Bewohnerinnen und Bewohner gehen erstaunlich gut mit der Gefahr um»

Die Stiftung azb in Strengelbach, eine Institution für Menschen mit Unterstützungsbedarf, steht seit Wochen vor besonderen Herausforderungen. azb-Geschäftsführer André Rötheli und Andi Siegrist, Bereichsleiter Wohnen und Beschäftigen, geben im Interview Auskunft, wie die Stiftung die Krise bisher gemeistert hat.
Herr Rötheli, Herr Siegrist, wie ist die Stimmung im azb?
Die Stimmung in der Stiftung azb ist den Umständen entsprechend ruhig und gut – glücklicherweise sind bisher weder Bewohnerinnen und Bewohner noch Personal am Corona-Virus erkrankt respektive positiv getestet worden. Erkrankungen mit Grippe-Symptomen kommen jedoch immer wieder vor. Solange eine Infizierung mit dem Corona-Virus nicht ausgeschlossen werden kann, werden die Bewohnerinnen und Bewohner isoliert und das Personal bleibt zu Hause bis zur vollständigen Genesung. Kritische Situationen werden dabei immer ärztlich abgeklärt. Ganz wichtig ist uns, dass nur gesunde Mitarbeitende eingesetzt werden. Fühlen sie sich unwohl oder ist in ihrem Umfeld eine Person erkrankt, bleiben sie nach Rücksprache mit einem Mitglied der Geschäftsleitung zu Hause. Damit können allfällige Ansteckungen vermieden werden. Die Stiftung hat sich zudem gut für den Ernstfall vorbereitet, sodass die Quarantäne und Pflege für am Corona-Virus erkrankte Bewohnerinnen und Bewohner in einem räumlich isolierten Bereich durch Fachpersonal gewährleistet wäre.
Wie schützen sich die Mitarbeiter, wie werden Bewohner geschützt?
Als eine der ersten grundsätzlichen Massnahmen wurde die Tagesstruktur in den Werkstätten und Beschäftigungsgruppen eingestellt. Externe Klientinnen und Klienten, und speziell diejenigen, welche mit dem öffentlichen Verkehr unterwegs sind, mussten zu Hause bleiben. So konnte das allfällige Einschleppen des Virus vermieden werden. Vielen extern wohnenden Klientinnen und Klienten ist es sehr schwergefallen, auf die gewohnte Tagesstruktur zu verzichten. Sie werden von uns «fernbetreut», das heisst, sie werden regelmässig telefonisch kontaktiert, damit sie über ihre Sorgen und Nöte sprechen können und wir über ihren gesundheitlichen Zustand – insbesondere über ihre psychische Verfassung – informiert sind. Für pflegerische Massnahmen, bei denen die Abstandsregeln nicht eingehalten werden können, trägt das Betreuungspersonal seit anfangs März Schutzmasken und Handschuhe. Viele unserer Bewohnerinnen und Bewohner gehören zur Risikogruppe. Sie befinden sich auf ihren Wohngruppen und werden durch unser entsprechend sensibilisiertes Personal betreut und im Alltag begleitet.
Dort wo es möglich ist, wurde gemäss dem in der Stiftung azb vorhandenen Pandemie-Konzept für das Personal schon ab Februar 2020 die Möglichkeit für Homeoffice-Arbeitsplätze geschaffen.
Gilt eigentlich ein generelles Besuchsverbot im azb?
Besuche von nahen Angehörigen sind nur in dringenden Fällen und nach Vorankündigung möglich. Auch Besuche der Bewohnerinnen und Bewohner zu Hause oder bei Angehörigen wurden zwischenzeitlich weitgehend eingestellt. Ansonsten gilt ein generelles Besuchsverbot. Die Kontakte werden jedoch via Telefon oder über Internet-Kommunikationslösungen ermöglicht. Die Bewohnerinnen und Bewohner sowie ihre Angehörigen haben Verständnis – auch wenn es ihnen nicht leichtfällt, auf soziale Kontakte ausserhalb der Stiftung azb zu verzichten.
Sie haben es erwähnt: Die Tagesstruktur ist seit Wochen unterbrochen. Was bedeutet dies für das azb aus wirtschaftlicher Sicht?
Im Bereich der Geschützten Werkstätte (Industrieaufträge) wie auch den Zentralen Diensten (Garten) können die wichtigsten Kundenaufträge abgearbeitet werden. Die Aufträge werden von den Abteilungs- und Gruppenleitungen sowie auf freiwilliger Basis von einigen wenigen Klienten ausgeführt. Kurzarbeit beim Personal musste bisher nicht beantragt werden.
Wie schwierig ist es, die Bewohner auf den Wohngruppen, wo sie nun auch essen und die meiste Zeit des Tages verbringen, bei guter Stimmung zu halten?
Für die Bewohnerinnen und Bewohner ist es nicht einfach, auf ihre gewohnte Tagesstruktur zu verzichten. Sie sind jedoch gut betreut und werden beschäftigt. Als Beschäftigung sehr beliebt ist unter anderem das Ausführen von «Heimarbeit» aus der Geschützten Werkstätte. Dabei werden selbstverständlich stets die Abstands- und Hygieneregeln eingehalten.
Bei einzelnen Klienten, die unbedingt zur Arbeit in die Werkstätte wollten und nur mit Schwierigkeiten den abrupten Wechsel vollziehen konnten, wurden Speziallösungen mit der Betreuung an ihrem gewohnten Arbeitsplatz eingerichtet.
Wie gehen die Bewohner mit der unsichtbaren Gefahr um?
Die Bewohnerinnen und Bewohner gehen erstaunlich gut mit der Gefahr um. Ohne Panik zu verbreiten, haben wir sie entsprechend ihrer Aufnahmefähigkeit sachlich über die Lage orientiert. Natürlich werden die Menschen im azb – ob Betreute oder Personal – laufend sensibilisiert und über die Hygiene- und Abstandsregeln instruiert.
Was ist denn noch möglich an Aktivitäten ausserhalb des azb-Geländes?
Die Aktivitäten ausserhalb des azb sind sehr eingeschränkt. Es werden jedoch kleine Spaziergänge unternommen (nicht in Gruppen), um sich an der frischen Luft zu bewegen und Abwechslung zu bieten. Zudem ist es möglich, sich auf den diversen schönen Plätzen im Aussenbereich der Stiftung aufzuhalten. Dies solange die Abstandsvorgaben eingehalten werden.
Am 27. April hat der Bundesrat das Ausstiegsszenario eingeleitet. Konnte man im azb bereits gewisse Massnahmen lockern?
Die Geschäftsleitung hat ein Ausstiegsszenario basierend dem Fahrplan des Bundesrates entworfen. Dabei wird die Tagesstruktur vorerst der externen Klientinnen und Klienten und in einer zweiten Etappe der Bewohnerinnen und Bewohner seit dem 27. April in kleinen Schritten in den normalen Alltag zurückgeführt. Entscheidend für die Umsetzung dieser Schritte ist jedoch die pandemische Entwicklung im Umfeld sowie die Vorgaben der Behörden. Die Rückkehr an den Arbeitsplatz ist für das psychische Wohlbefinden unserer Klientinnen und Klienten sehr wichtig. Die Abstands- und Hygieneregeln werden auch nach der Lockerung weiterhin eingehalten und über entsprechende strukturelle und organisatorische Vorkehrungen sichergestellt. Bis auf Widerruf von der Lockerung nicht betroffen sind die Anlässe und Veranstaltungen. Als Folge davon wird unter anderem der allseits beliebte Tag der offenen Tür vom 16. Mai 2020 nicht durchgeführt.