
Die Frau, die alle unterschätzt haben – Regula Rytz
Keine Politikerin und kein Politiker stand am Wahlsonntag stärker im Fokus als Regula Rytz. Wo die Präsidentin der Grünen auch auftauchte, stets hatte sie Kameras und Mikrofone im Schlepptau. Und der Rummel riss auch am Montag nicht ab. Wer sich mit ihr unterhalten wollte, der musste sich von der persönlichen Assistentin auf die Warteliste setzen lassen.
Der Kontrast zum Bild, das sich nach den Wahlen 2015 bot, könnte nicht grösser sein. Da sassen Rytz und die damalige Co-Präsidentin Adèle Thorens im Bundeshaus ziemlich unbeachtet im Restaurant «Galérie des Alpes». Die Grünen hatten Wähleranteile und Sitze eingebüsst und waren an diesem Tag Randfiguren.
Ein halbes Jahr nach der Niederlage wurde Rytz alleinige Parteipräsidentin. Welchen Anteil hat sie am Aufschwung, der 2017 mit Wahlerfolgen auf kantonaler Ebene einsetzte und im grössten Zugewinn einer Partei seit 100 Jahren gipfelte? Einen grossen, meint Thomas Schwager. Er ist Präsident der St. Galler Grünen, die vor vier Jahren ihren Sitz im Nationalrat verloren. «Regula Rytz ist nach der Niederlage mehrmals in die Ostschweiz gereist. Das gab uns einen Ruck», sagt Schwager. Am Sonntag holten sich die St. Galler Grünen den verlorenen Nationalratssitz wieder zurück.
Unter Rytz wurden die Strukturen professionalisiert, die Basis verbreitert. Ausserdem schärfte die Partei ihr ökologisches Profil und verstärkte die Anstrengungen in der Gleichstellungspolitik. Damit waren die Grünen für die sogenannte Klima- und Frauenwahl besser aufgestellt als die SP.
Rytz ist Vegetarierin und hat keinen Führerschein
Für Thomas Schwager kam am Sonntagabend bei der TV-Debatte der Parteipräsidenten ein zentrales Merkmal von Rytz zum Tragen: «Sie bleibt stets sachlich.»
Die Bernerin lud die anderen Parteien zu einem gemeinsamen Klimagipfel ein. Und die Forderung nach einem grünen Sitz im Bundesrat formulierte sie betont zurückhaltend. Pragmatisch und konsensorientiert, so wird der Politikstil der 57-Jährige beschrieben. Auf ihrer Webseite schreibt sie:
Dabei politisiert sie gemäss einer NZZ-Auswertung am äussersten linken Rand des Parlaments. Rytz zweifelt an der Aussagekraft der Auswertung, sagt aber auch: «Ich habe konkrete Lösungen und starke Werte.»
In ihrem ganzen Leben sei sie fünf Mal geflogen, sagt Rytz, davon drei Mal nach Nepal. Ihr Partner, mit dem sie seit über 30 Jahren zusammen ist, lebte als Kind einige Jahre dort. Im Alltag ist Rytz mit dem Velo unterwegs, einen Führerschein besitzt sie nicht. Und natürlich ist sie Vegetarierin – wobei sie sich auf einer Bergwanderung auch mal ein Stück Salami gönnt.
Die Grünen-Präsidentin stelle hohe Ansprüche an sich selber und habe ein grosses Pflichtbewusstsein, heisst es aus ihrem Umfeld. Entspannung findet Rytz beim Wandern und Lesen. Unter Rytz wirkten die Grünen «so seriös, dass es fast schon bieder wird», schrieb die «Wochenzeitung» kürzlich.
Gute Aussichten auf einen Sitz im Ständerat
Aufgewachsen ist Rytz in einem bürgerlichen Umfeld in Thun, «in einem FDP-Haushalt». Sie macht erst das Lehrerpatent, studiert später Geschichte. Die politische Karriere beginnt 1994 mit der Wahl ins Berner Kantonsparlament. Ab 2005 sitzt sie acht Jahre in der Regierung der Stadt Bern. Zu ihrem Leistungsausweis als Bau- und Verkehrsdirektorin zählt Rytz die Einrichtung von «unzähligen Tempo-30- und Begegnungszonen».
Im Nationalrat politisiert sie seit 2011. Ihre Vorstösse decken ein breites Themenfeld ab: Sie forderte unter anderem eine Präventionskampagne gegen Sexismus oder eine Offenlegung der Einkünfte von Parlamentariern. Als Parteipräsidentin tritt Rytz demnächst ab, weil die Statuten dies so verlangen.
Dafür will sie in den Ständerat. Im ersten Wahlgang landete sie hinter SP-Politiker Hans Stöckli und vor den bürgerlichen Kandidaten auf dem zweiten Platz. «Das zeigt, dass sich die Gesellschaft auch im Kanton Bern wandelt», sagt Rytz, und es tönt nicht danach, als wolle sie sich für den zweiten Wahlgang zu Gunsten von Stöckli aus dem Rennen nehmen. Die Entscheidung fällt am Dienstag.
Rytz wird auch als Anwärterin für den Bundesrat gehandelt. Spricht man sie darauf an, dann lacht sie. Zunächst müsse sich die Partei darauf verständigen ob es überhaupt eine grüne Kandidatur geben soll. Es sind spannende Tage im Leben der Regula Rytz.