Die Gaffer von früher zücken heute das Smartphone

Auf der ZT-Redaktion erhalten wir beinahe täglich Unfallmitteilungen der Polizei mit Fotos. Diese Bilder sind für uns Journalisten wichtig. Denn sie machen die Zeitung für die Leserinnen und Leser attraktiver und stossen auch auf der Online-Plattform auf Interesse. Doch jeder Segen hat auch seine Grenzen. Im Januar kam es in der Schweiz zu zwei Vorfällen, bei welchen Autolenker mit ihrem Fahrzeug noch über den Bahnübergang gelangen wollten, während sich die Schranken schon senkten. Doch in beiden Fällen war es zu spät. Die Barrieren waren zu, die Autos steckten fest – und die Insassen konnten nichts mehr tun ausser aussteigen, um wenigstens sich selbst in Sicherheit zu bringen, bevor es zur Kollision mit dem Zug kam. Von beiden Unfällen existieren Videos, welche von «Leser-Reportern» per Smartphone aufgezeichnet und von den Online-Medien prominent veröffentlicht wurden. Berücksichtigt man die Tatsache, dass die Urheber dieser Videos nicht wissen konnten, ob sich beim abzeichnenden Unfall Menschen – allenfalls sogar tödlich – verletzen könnten, ist dieses Verhalten als schlicht pietätlos zu bezeichnen. Erst recht dann, wenn sie das Filmen einem Anruf bei der Polizei oder einer Hilfeleistung vorgezogen hatten.

Zwar gehören den fehlbaren Autolenkern auf jeden Fall die Fahrausweise entzogen und sie müssen sich wegen «Eingriffs in den Schienenverkehr» dem Staatsanwalt stellen. Doch auch sie haben es nicht verdient, noch Jahre später im Internet ein Video ihres Unfalles vorzufinden, zumal ein solcher traumatisierende Folgen haben kann. Manche Medien bezahlen ihren Leserreportern für Bilder und Videos Gutscheine und Geldbeträge im Wert von bis zu 100 Franken, während ein Anruf bei der Polizei weder Medienpräsenz noch Geld einbringt.

Es ist höchste Zeit, diese moralisch falschen Anreize zu stoppen. Ich plädiere sogar: Wer Videos von Unfällen, bei welchen schwere Personenschäden entstehen oder entstehen könnten, online stellt, soll strafrechtlich verfolgt werden können.

Wer lieber filmt, statt hilft, hat den Ort des Geschehens «nullkommaplötzlich» zu verlassen. Den beiden Personen, welche ihre Unfallvideos auf zahlreichen Newsportalen wiederfanden und sich an der Aufmerksamkeit ergötzen konnten, wünsche ich von Herzen ein grösseres Selbstbewusstsein, damit sie sich solche Aktionen künftig zweimal überlegen.