«Die Krankheit nicht unter dem Deckel halten»

Referat in der Bibliothek

«Unter dem Schleier des Vergessens»

Marianne Candreia hält am 16. Oktober um 14 Uhr in der Bibliothek Rothrist einen Vortrag mit dem Titel «Demenz – Unter dem Schleier des Vergessens: Eben noch da und plötzlich weg». Die Bibliothek offeriert nach dem Referat einen Apéro. Es wird um eine Anmeldung gebeten bis zum 12. Oktober unter info@bibliothek-rothrist.ch oder 062 794 13 36. Eintritt frei, Kollekte.

Die Alzheimervereinigung Aargau ist eine Organisation, die demenzkranke Menschen und ihre Angehörigen durch verschiedene Angebote unterstützt. Geschäftsstellenleiterin Marianne Candreia ist am 16. Oktober in Rothrist zu Gast. Sie wird in der Bibliothek ein Referat zum Thema halten. Im Interview spricht Marianne Candreia unter anderem über den richtigen Umgang mit Demenz-Betroffenen und die Ängste derer Angehörigen.

Ist Demenz noch ein Tabuthema?

Marianne Candreia: In den Medien ist Demenz öfter ein Thema, in der Gesellschaft nimmt die Sensibilität zu. Dadurch sinkt möglicherweise die Hemmschwelle, darüber zu sprechen. Kognitive Leistungen und Fähigkeiten, die damit verbunden sind, haben aber einen sehr hohen Stellenwert in der Gesellschaft. Die Scham der Betroffenen, wenn sie diese Leistungen nicht mehr erfüllen können, ist also durchaus noch da. Sie fürchten sich davor, nicht mehr ernst genommen und in eine Ecke gedrängt zu werden.

Erhält «Alzheimer Aargau» heute mehr Anfragen von Betroffenen und Angehörigen als früher?

Ja, wir sind gefragt! Wir haben auch vermehrt Kontakt mit jungen Betroffenen, also 50- bis 60-Jährigen, die noch im Berufsleben stehen. Bei Jungbetroffenen macht sich die Demenz im Gegensatz zur Altersdemenz nicht unbedingt durch Vergesslichkeit und Orientierungsschwierigkeiten, sondern eher durch eine Wesensveränderung bemerkbar.

Dann werden die Betroffenen offenbar immer jünger?

Nein, das scheint nicht der Fall zu sein. Von demenziellen Entwicklungen sind in grosser Mehrheit ältere und alte Menschen betroffen. Die vorher erwähnte Zunahme hängt vermutlich damit zusammen, dass jüngere Menschen und deren Umfeld rascher Hilfe suchen. Bei älteren Angehörigen höre ich häufig: «Ich schaffe das allein» – woraus früher oder später eine gewaltige Belastung entsteht. Trotzdem machen die älteren Betroffenen noch immer den grössten Teil der Personen aus, die uns kontaktieren – respektive deren Angehörige, meistens Ehepartner, Töchter, Söhne oder Schwiegertöchter.

Wovor fürchten sich die Angehörigen von Demenz-Erkrankten denn am meisten?

Viele haben Angst, den Gesprächspartner zu verlieren, wenn die Krankheit einmal fortgeschritten ist. Häufig ist auch die Angst vor der neuen Rolle, die ihnen zufällt – plötzlich müssen sie die ganze Verantwortung allein tragen; für den anderen sorgen. Hinzu kommt die Frage, wie es weitergeht und ob und wie lange der oder die Betroffene noch daheim leben kann. Vielen Angehörigen macht es Mühe, wenig Freiraum, keine Möglichkeit für eigene Aktivitäten mehr zu haben. Oder Freunde zu verlieren, weil diese nicht wissen, wie sie mit den Demenzbetroffenen umgehen sollen. Aus all diesen Belastungen resultiert oft die berechtigte Angst, selbst krank zu werden; sei es körperlich oder seelisch.

Was raten Sie ihnen?

Dass sie Hilfe annehmen und darüber sprechen sollten. Hält man die Krankheit unter dem Deckel, spitzt sich die Situation bloss zu. Wir bieten zum Beispiel Beratung an: Zusammen versuchen wir, individuell angepasste Formen der Unterstützung zu entwickeln. Ressourcen werden ausgelotet, um auf eine Entlastung hinzuwirken. Dazu zählen auch das Umfeld, Freunde, Nachbarn, Verwandte oder externe Betreuungsmöglichkeiten. Geschätzt werden auch Gesprächsgruppen, in denen sich Angehörige unter fachlicher Begleitung austauschen können. Wichtig scheint mir auch, dass sich die Angehörigen Wissen über die Krankheit einholen: Wie entwickelt sich Demenz? Was kommt noch auf mich zu? Wie kommuniziere ich mit einem dementen Menschen?

Was ist beim Umgang mit Betroffenen besonders wichtig?

Dass sie spüren, dass sie trotz und mit Demenz gebraucht und wertgeschätzt sind; dass sie gute Momente erleben können. Emotional sind demente Menschen noch sehr «wach». Forschungen belegen, dass positive Erinnerungen dabei eine wichtige Rolle spielen. So kann es zum Beispiel helfen, mit den Betroffenen ihnen lieb gewordene Orte wieder aufzusuchen und sie emotional positiv Besetztes erleben zu lassen. So ermöglicht man den Erkrankten trotz ihrer Situation ein Gefühl von Wohlbefinden.

Mit welchen Angeboten hilft «Alzheimer Aargau» konkret?

Unser Leitgedanke ist: Wir lassen niemanden mit Demenz allein und sind bestrebt, die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen zu verbessern. Wir beraten am Telefon, machen aber auch Hausbesuche. Diese geschehen im Rahmen der sogenannten zugehenden Demenzberatung, einer Dienstleistung, die Alzheimer Aargau in Kooperation mit Pro Senectute Aargau anbietet. Weiter bieten wir Infoseminare, Gesprächsgruppen und den Treffpunkt «Alzheimer Café» an – dort können Angehörige und Betroffene unter sich sein, sich austauschen, ohne sich erklären zu müssen. Schulungen, zum Beispiel für Pflege-Teams, Entlastungsdienste und für die Spitex, gehören ebenfalls zu unserem Repertoire.

Weitere Infos zum Angebot von «Alzheimer Aargau» gibt es auf www.alz.ch/ag, per Mail über info.ag@alz.ch oder telefonisch über die Geschäftsstelle unter 056 406 50 70 (Mo.-Mi.).