
Die Literaturtage werden virtuell und gehen über den Röstigraben hinaus
Weshalb in die Ferne schweifen? Das Unbekannte liegt doch so nah. Erstmals und pünktlich zur zehnten Auflage bieten die Literaturtage Zofingen einem Nachbarland Gastrecht. Vom 20. bis 22. Oktober gehört die Altstadt der französischsprachigen Literatur. «Zofingue en Français – Zofingen auf Französisch» bietet Gelegenheit zur Literatur-, Kultur- und Völkerverständigung über den Röstigraben hinaus bis ins Herz der Grande Nation hinein. 19 Veranstaltungen, 6 Autorinnen und Autoren, 3 Referentinnen und Referenten sowie 9 Moderierende und Übersetzende versprechen Vielfalt.
Erlebnis der vierten Dimension
Bereits das Amuse-Bouche zu den Literaturtagen ist exquisit. Die virtuelle Bibliothek «Livre in Room» (L.I.R.) feiert in der Stadtbibliothek Zofingen ihre Schweizer Premiere. Cécile Vilas, Leiterin der Stadtbibliothek, sowie der Schweizerische Werkbund laden am 18. Oktober um 17 Uhr zur Eröffnung dieser begehbaren Installation in Form einer Box im ersten Obergeschoss der Stadtbibliothek. Jeder und jede kann sich hier von einem Hologramm einen Auszug aus einem von hundert Titeln vorlesen lassen. L.I.R. steht dem Publikum während der Öffnungszeiten der Stadtbibliothek bis zum 28. Oktober offen. Ebenfalls am 18. Oktober um 19 Uhr liest der auf Französisch schreibende Aargauer Schriftsteller Markus Hediger aus seinem lyrischen Werk «Va-t’en. Oublie». Er stimmt die Leserschaft anlässlich der Reihe sofalesungen.ch auf Melodie und Rhythmus der französischen Sprache ein.
Literatur à la carte
Einmal mehr präsentieren sich die Literaturtage als intimer Ausklang zur Massenveranstaltung Frankfurter Buchmesse. Die Autorinnen und Autoren stehen im Mittelpunkt und sind fürs Publikum greifbar.
Pascale Kramer (56) seziert in «Autopsie des Vaters» ein Land im Kippzustand und wirft ein schmerzhaft klares Licht auf das Innerste einer Familie. Die Lausanner Autorin, die in Paris lebt, hat zahlreiche Preise gewonnen. Bundesrat Alain Berset sagte über sie: «Pascale Kramer ist eine Meisterin der Zwischentöne, des beredten Schweigens, der ‹non-dits›. Eine, die die Zeichen der Zeit – und des Zeitgeistes – virtuos dechiffriert.»
Olivia Rosenthal (52) entführt ihre Leser mit «Überlebensmechanismen in einer feindlichen Umgebung» in ein bedrückend klaustrophobisches Erleben. Die Protagonistin ist auf der Flucht vor den Geistern der Vergangenheit, kommt am Ende nicht umhin, sich diesen zu stellen.
Marie-Jeanne Urech (41) reisst ihr Publikum mit umstürzlerischer Fabulierlust mit. Märchenhaft beschreibt der soeben auf Deutsch übersetzte Roman «Schnitz» das Schicksal der Familie Kummer, die um ihre Existenz und ihre Wohnung kämpft. Mit Witz und surrealen Gestaltungsformen zeichnet die Lausannerin ein eindringliches Bild von Wucher und Wohnungsnot.
Grégoire Hervier (40) hat eine Schwäche für Rockmusik. Der Roman «Vintage» des Franzosen verwebt wahre Fakten in eine raffinierte Erzählung hinein. Einem jungen Gitarristen und Journalisten bietet sich die Story und der Deal seines Lebens: eine Million, wenn er beweisen kann, dass die «Gibson Moderne», die legendärste Gitarre aller Zeiten, tatsächlich existiert hat. «Vintage» ist eine Geschichte, bei der in jedem eine Saite erklingt.
Frédéric Pajak (61) montiert in seiner Serie «Ungewisses Manifest» auf neuartige Weise Tuschezeichnungen mit Texten. Der französisch-schweizerische Autor und Zeichner erzählt von sich, seinen Lektüren, seinen Gedanken und von Sätzen, die er gefunden hat. Pajak zeichnet in einem traumwandlerischen Hochseilakt ein Bild des heutigen Menschen, dessen Selbst zunehmend brüchig geworden ist. Ist Identität bloss ein Traum?
Noëlle Revaz (49) macht mit ihrem Roman «Das unendliche Buch» Literatur zur Prêt-à-porter-Inszenierung. Auf der Spur von zwei Autorinnen beschreibt die Autorin einen Literaturbetrieb, bei dem es nur noch auf Verpackung und Verkauf ankommt. Ins Buch schaut niemand mehr. Allerdings bleibt es nicht dabei: Die Autorinnen schreiben tatsächlich ein Buch. Der Roman ist eine der stärksten Liebeserklärungen an die Literatur, die es derzeit zu lesen gibt.
Referate zum Auftakt
Der Samstagmorgen gehört zwei Referentinnen, die den französischen Kulturraum aus ihrer Warte beleuchten. Cécile Vilas erzählt anhand von Ausgaben aus dem Bestand der Stadtbibliothek das Abenteuer der Enzyklopädisten rund um Denis Diderot. Christina Vogel, Titularprofessorin für romanische Literaturwissenschaft, lotet in ihrem Referat die Spannungsfelder der modernen französischen Literatur aus.
Podien am Nerv
Die Podiumsdiskussion «Virtuell! Digital! Literarisch?» unter der Moderation von Markus Kirchhofer, dem Programmleiter der Literaturtage, nimmt am Sonntagnachmittag die digitale Bibliothek L.I.R. und den Roman von Noëlle Revaz zum Anlass, grundsätzliche Fragen zu Literatur und Virtualität zu stellen.
«Zu früh Französisch?» lautet der Titel eines zweiten Podiums. Die Moderatorin Christine Le Pape Racine, Professorin für Französischdidaktik, diskutiert am Samstagabend mit verschiedenen Gästen über das Politikum Frühfranzösisch.
Kulinarik für Geniesser
Frankreich ist eine kulinarische Wiege Europas. Der bekannte Satiriker, Historiker und Gourmet Karl Gautschi erzählt die Entstehungsgeschichten französischer Speisen, die ihre Bezeichnung mehr oder weniger berühmten Persönlichkeiten oder Ereignissen zu verdanken haben, von der Crème Dubarry bis zu den Poires Belle-Hélène. Dazu gibt es einen französischen Dreigänger. Der Anlass ist bereits ausverkauft.
Für Schüler und Lehrer
Bereits zum zweiten Mal in Folge kooperieren die Literaturtage Zofingen mit den Schulen der Stadt Zofingen. Die Primarschule führt eine Comic-Projektwoche mit dem Zeichner Diego Balli durch und erweist damit der französischen Tradition der Bandes dessinées die Ehre. Kantonsschüler vertiefen sich in einer Projektwoche in Literatur und Biografie der geladenen Autoren. Die Literaturtage haben aber auch Lehrern und Kulturvermittlern etwas zu bieten. Auf Freitag, 20. Oktober, ist im Kunsthaus Zofingen ganztägig die Tagung «Passages littéraires» angesetzt, die Literaturvermittlung zwischen Sprach- und Kulturwelten mit Fokus auf die Übersetzung zum Ziel hat.
Eröffnung mit Alex Capus
Die Eröffnung der Zofinger Literaturtage findet am Freitag, 20. Oktober um 18 Uhr im Rathaus Zofingen statt. Der Oltner Autor Alex Capus hält die Eröffnungsrede. Grussbotschaften der französischen Botschaft, vom Stadtrat und von der Stiftung Pro Helvetia leiten zum anschliessenden Apéro riche mit musikalischer Begleitung von Renato Rizzo (Gitarre) und Yvonne Glur-Troxler (Akkordeon) über. Die Teilnahme an der Eröffnungsfeier ist kostenlos, für die übrigen Veranstaltungen wird Eintritt verlangt.
Literaturtage Zofingen – das Programm
Mittwoch, 18. Oktober
Literatur virtuell erleben, 17 Uhr, Stadtbibliothek, Eröffnung Digitale Bibliothek L.I.R. (Livre in Room)
Va-t’en. Oublie / Geh. Vergiss, 19 Uhr, Aeppenhaldenstrasse 10, Zofingen, Lesung im Rahmen sofalesungen.ch
Freitag, 20. Oktober
Passages littéraires, ab 9.30 Uhr, Kunsthaus, Ganztägige Tagung zur Literaturvermittlung zwischen Sprach- und Kulturwelten. Nur mit Voranmeldung.
Eröffnung, 18 Uhr, Rathaus, Bürgersaal, Offizielle Eröffnungsfeier
Apéro, 19.30 Uhr, Rathaus, Foyer und Innenhof, Es spielt das virtuose Duo Yvonne Glur (Akkordeon) und Renato Rizzo (Gitarre) auf.
Ausklang an der Literaturbar, 21 Uhr, Gasthof zum Goldenen Ochsen, Literaturbar, Begegnungen mit Autoren, Moderatoren und Literaturfans
Samstag, 21. Oktober
Einstimmen, 9 Uhr, Buchhandlung Mattmann, Gelegenheit für Begegnungen mit den anwesenden Autoren, Moderatoren sowie Organisatoren
Das Abenteuer der Enzyklopädisten, 10.30 Uhr, Stadtbibliothek, Vortrag von Cécile Vilas
«Die moderne französische Literatur im Zeichen von Misstrauen, Befreiung und Ent-Täuschung», 12 Uhr, Stadtbibliothek, Referat Christina Vogel, Titularprofessorin für romanische Literaturwissenschaft an der Universität Zürich
Autopsie des Vaters, 13.30 Uhr, Hotel Zofingen, Lesung mit der Autorin Pascale Kramer,
Überlebensmechanismen in feindlicher Umgebung, 15 Uhr, Hotel Zofingen Lesung mit der Autorin Olivia Rosenthal
Schnitz, 16.30 Uhr, Hotel Zofingen, Lesung mit der Autorin Marie-Jeanne Urech
Zu früh Französisch?, 18 Uhr, Buchhandlung Mattmann, Podiumsdiskussion mit Elisabeth Abbassi (Schulleiterin, Präsidentin Aargauer Lehrerinnen- und Lehrerverband), Markus Hediger (Autor und Übersetzer), Simone Lappert (Autorin, Literaturvermittlerin)
Französische Gerichte mit Geschichte, 19.30 Uhr, Hotel Zofingen, Literarische Gourmetreise mit Karl Gautschi, Gourmet und Geschichtenerzähler. Bereits ausverkauft.
Vintage, 23 Uhr, Zum Goldenen Ochsen, «Ochsensaal», Lesung mit dem Autor Grégoire Hervier.
Sonntag, 22. Oktober
Ungewisses Manifest, 10.30 Uhr, Hotel Zofingen, Lesung Frédéric Pajak
Das unendliche Buch, 12 Uhr, Stadtbibliothek, Lesung Noëlle Revaz
Virtuell! Digital! Literarisch?, 13.30 Uhr, Stadtbibliothek, Podiumsgespräch mit Beat Röthlisberger (Masterarbeit zur Ästhetik von Lernmedien), Noëlle Revaz (Schriftstellerin), Cécile Vilas (Leiterin Stadt-bibliothek Zofingen)
Fussballspiel, 15 Uhr, Bezirksschulwiese (bei Regen in der Rosengartenturnhalle), Aargau – Schweiz, Schiedsrichter: Luigi Ponte, Zentralpräsident des Schweizerischen Schiedsrichterverbandes (SSV)
Ausklingen, 17 Uhr, Kunsthaus, Abschluss der Literaturtage bei einem Apéro; Ausblick auf 2018 mit Gastland Georgien