Die schwarze Spinne hat ihre Fäden gesponnen

Anstoss zu «Die Spinne von Zofingen» gab die 200-Jahr-Feier des Schweizerischen Zofingervereins (Zofingia). Drei ehemalige «Zofinger» – Frank Martin, Jeremias Gotthelf und Albert Anker – lieferten den Stoff dazu: Frank Martin (1890-1974) mit der Doppelchormesse, Jeremias Gotthelf (1797-1854) durch Zitate aus «Die schwarze Spinne» und Albert Anker (1831-1910) spornte die Studierenden im Fach «Bildnerischen Gestalten» zu Bildern an, die Ankers idyllische Landleben von der «guten alte Zeit» in die Gegenwart übersetzen. «Die Spinne von Zofingen» qualifizierte sich als Kulturspiegel von Vergangenem und Gegenwärtigem und erhob sich zu einem einzigartigen kulturellen Erlebnis. Die ganze Stadt war in den Farben Rot und Weiss beflaggt, Symbol sowohl für Zofingen, die Zofingia und die Schweiz. Auch die Akteure des Kanti-Theaters in «Die Spinne von Zofingen» trugen rot-weisse Kleider. Mit Ausnahme des Teufels (Thomas Hofstettler). Dieser erschien in giftigem Grün.

Alles ist der Änderung unterworfen

Nichts ist geblieben wie gewohnt. Dies offenbarte sich schon beim Eingang in die Stadtkirche; der nach hinten verlegt worden war. Dort traf man auf eine Ausstellung von Bildern mit Motiven von Albert Anker. «Das ‹Bildnerische Gestalten› stellte die Aufgabe, ein Sujet von Albert Anker in die Gegenwart umzusetzen», erklärte Lehrer Maurus Richard. So ist zum Beispiel in «Grossvaters Andacht», wo ein Greis der Bibellesung seines Enkels zuhört, ein Knabe geworden, der teilnahmslos sein Laptop bedient. An der Wand hängt ein Plakat mit dem Titel «Klimawandel», das eine schmelzende Erdkugel zeigt. «Der Anstoss und die Idee zu ‹Die Spinne von Zofingen› kam von Ruth Soland», fügte Maurus Richard hinzu. «Sie war die treibende Kraft in der Ausarbeitung des Projektes im Team des Lehrkörpers». Der Blick im Innenraum der Stadtkirche war nicht nach dem Chor gerichtet, Schauplatz der Aufführung war der Raum auf der anderen Seite. Hufeisenförmig schlossen sich daran die Sitzreihen für das Publikum.

Sinnbilder zwischen Gut und Böse

Ausgangspunkt war die Geschichte «Die schwarze Spinne» von Jeremias Gotthelf. Sie handelt von leibeigenen Bauern, die im 15. Jahrhundert von einem Ritter gnadenlos ausbeutet werden. Ein grüner Jäger bietet Hilfe an, verlangt dafür aber ein neugeborenes, ungetauftes Kind. Die Bauern erkennen nun im Jäger den Teufel. Alle lehnen den Pakt einhellig ab – mit Ausnahme der zugezogenen Christine. Das Geschäft wird mit einem Kuss auf ihre Wange besiegelt, der ihr als brennender Schmerz durch den ganzen Körper fährt. Der Grüne erfüllt seinen Teil der Abmachung auf mysteriöse Weise, die Bauern jedoch verweigern die Gegenleistung. Das wiederholt sich noch zwei Mal. Schliesslich bildet sie auf der Wange von Christine ein Geschwulst, aus dem unzählige Kreuzspinnen schlüpfen und eine Tierseuche verbreiten.

Die Umsetzung von «Die Spinne von Zofingen» erfolgte mit packender, beispielloser Dynamik. Das begann mit dem «Kyrie» aus der Messe für zwei vierstimmige Chöre von Frank Martin. Der mit Sängerinnen und Sängern der Kanti erweiterte, professionelle Solandchor überzeugte mit seinem Stimmvolumen und der Geschmeidigkeit in wechselnden Nuancen im Ausdruck. Das Kanti-Theater schloss danach den Pakt mit dem Teufel und erinnerte an die Gründung der Studentenverbindung vor zweihundert Jahren. Der Chor antwortete mit «Gloria in excelsis Deo» aus der Messe, und die Theatergruppe bezeugte die Freundschaft der Studenten mit dem Aufspiessen der Käppis auf dem Weihedegen. Dann war wieder der Chor an der Reihe mit dem «Credo» aus der Messe. Nach der Taufe des zweiten Kindes verwandelt sich Christine zur Spinne und die Frauen, in der Zofingia als «Besen» bezeichnet, versammeln sich zum Besentanz. Das «Sanctus dominus» des Chores leitete über zur Taufe des dritten Kindes. Der Teufel rast, die zur Spinne gewordene Christine wird für immer in einen Fensterrahmen eingesperrt. In der «Zofingia» beginnt sich nun die Burschenschaft zu öffnen.

Der Kantichor unter der Leitung von David Gabi streute zwischendurch typische Studentenlieder ein und der Solandchor schloss die «Die Spinne von Zofingen» mit dem «Agnus Dei» ab. Das Publikum erkannte ein Ausnahmeerlebnis und wollte mit Beifall fast nicht mehr aufhören. (kbb)