Die Spendenfalle

Es ist eine Situation, die ich wirklich nicht mag: Beim Bummel durch die Altstadt oder am Bahnhof geht plötzlich eine junge Frau oder ein junger Mann eines Hilfswerks neben mir her – und versucht, mir einen Spendenvertrag aufzuschwatzen. Erst kürzlich sprach mich eine Frau mit gespielter Überfreundlichkeit an: «Hallo, hättest du vielleicht ein Minütchen Zeit für mich?» Ein Minütchen für einen Spendenvertrag?

«Ich bin Mara und was meinst du, wie viel du spenden müsstest, damit dieses vierjährige Kind auf dem Foto ein ganzes Jahr lang genügend Wasser zum Trinken hätte? Ich studiere an der Pädagogischen Hochschule. Ich möchte Lehrerin werden und ich sehe es dir deshalb genau an, dass du auch ein Herz für Kinder hast. Ich spüre da so eine Verbindung zwischen uns.»

Wenn da tatsächlich eine Verbindung zwischen uns existierte, dann so eine schwache mit nur einem Strich, welche kaum ausreichen würde, um eine SMS zu versenden.

Vielleicht sollte ich beim nächsten Mal nicht einfach kommentarlos weitergehen. Sondern den Spiess einfach umdrehen. Ich könnte ihr die detailliertesten Fragen über den Bau neuer Trinkwasserbrunnen in Tansania stellen und unter anderem wissen wollen, wie viel Lohn ein Bauarbeiter in diesem Land pro Monat verdient, wie viele Brunnen in den letzten zehn Jahren gebaut wurden und wie viele Kinder prozentual eine Schulbildung geniessen dürfen. Irgendwann wird der Moment kommen, in dem die junge Frau wohl gestehen muss, dass sie ihre Phrasen bloss auswendig gelernt hat – und eigentlich gar nicht so genau weiss, wofür ihre Organisation überhaupt sammelt. Und abschliessend würde ich ihr die alles entscheidende Frage stellen: «Welches Geld ist dir tatsächlich wichtiger, falls ich unterschreiben würde? Dasjenige für das Kind hier auf dem Foto oder jenes, das du hier auf Provision einstreichst?»