Die Staatsanwaltschaft will die Spuren vernichten – bei der Kantonspolizei Aargau regt sich Widerstand

270 Gegenstände sind im Fall Rupperswil beschlagnahmt worden. Sie werden in der Beilage zur Anklageschrift aufgelistet. Darunter zum Beispiel der Rucksack mit Kabelbinder, Seilen, einer Pistole und Klebeband, den die Ermittler bei der Hausdurchsuchung sicherstellten. Zu den beschlagnahmten Gegenständen gehören weiter etwa ein grauschwarzer Regenschirm, ein Notizbuch und drei Hundefotos. Abgesehen von ein paar wenigen Dingen, die N. zurückgegeben werden sollen, zum Beispiel sein Pass, beantragte die Staatsanwaltschaft, die Gegenstände zu vernichten.

Im Fall Rupperswil sollen aber nicht nur diverse beschlagnahmte Gegenstände vernichtet werden. Die Staatsanwaltschaft stellte ausserdem den Antrag, das Institut für Rechtsmedizin in Aarau sowie die IT und Kriminaltechnik der Kantonspolizei seien anzuweisen, sämtliche Asservate, Gegenstände und Daten, die im Zusammenhang mit dem Strafverfahren sichergestellt und gesammelt wurden, zu vernichten.

Keine gesetzliche Grundlage

Das Bezirksgericht Lenzburg und nun auch das Obergericht sind auf diesen Antrag nicht eingetreten. Es sei nicht ersichtlich, auf welcher gesetzlichen Grundlage das Gericht über die Vernichtung dieser Gegenstände entscheiden könnte, heisst es im schriftlichen Urteil des Obergerichts. Es obliege der Staatsanwaltschaft, «die sachgemässen Verfügungen» zu treffen, schreibt das Gericht. Die betreffenden Gegenstände und Daten dienten laut Nicole Payllier, Mediensprecherin der Aargauer Gerichte, der polizeilichen Ermittlung und Untersuchung. «Es handelt sich unter anderem um Asservate für medizinische Untersuchungen wie zum Beispiel von Blut und Urin oder um gesicherte technische Daten, etwa aus Handyauswertungen.»

Der Vierfachmord ist ein aussergewöhnlicher Fall der Schweizer Kriminalgeschichte. Da stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, sämtliche Spuren zu vernichten. Bernhard Graser, Mediensprecher der Kapo Aargau und Verantwortlicher für das Polizeimuseum in Aarau, sagt: «Es wäre meines Erachtens ein Fehler, diese Gegenstände zu entsorgen.» Es handle sich in diesem Fall nicht einfach um Beweismittel, sondern um «Gegenstände mit einem gewissen historischen Wert». «Sie müssten aufbewahrt werden», sagt er und kündigt an, dieses Anliegen intern zu deponieren. Er wolle auf keinen Fall pietätlos erscheinen, betont Graser. Natürlich sei der Fall heute noch viel zu nah, um ihn mit Tathilfsmitteln in einem Kriminalmuseum vorzustellen. «Aber in zwanzig, dreissig Jahren sieht das womöglich anders aus.» Natürlich müsse auch sehr sorgfältig geprüft werden, welche Objekte geeignet wären.
Gleich sieht es der pensionierte Kriminalkommissär Markus Melzl: «Solche Gegenstände muss man behalten.» Er gehe davon aus, dass das Gericht einen entsprechenden Antrag der Kriminalpolizei gutheissen würde.

Strafrechtsprofessor Martin Killias findet es generell «ein Problem, dass in Europa nach Eintritt der Rechtskraft sämtliche Spuren vernichtet werden». Dies sei einer der Gründe, weshalb in Amerika Wiederaufnahmeverfahren viel häufiger vorkämen und öfter Erfolg hätten.