Diese Bruggerin kennt Jill Biden – die First Lady interessierte sich für die Schweizer Berufsbildung

Als am Wochenende feststand, dass Joe Biden die US-Präsidentschaftswahl gewonnen hat, gab es für die Bruggerin Ursula Renold kein Halten mehr. Über die sozialen Medien teilte die 59-jährige ETH-Professorin der Öffentlichkeit mit: «Ich bin sehr glücklich, dass die neue US-First-Lady Jill Biden ein grosses Interesse daran hat, das US-­amerikanische Bildungssystem zu verbessern.»  

Jill Biden sei eine grossartige Führungspersönlichkeit und Pädagogin. Renold, die frühere Direktorin des Bundesamts für Berufsbildung und Technologie, ist stolz darauf, dass sich die Bundesstaaten Colorado, Indiana, Kalifornien, New York City, der Distrikt Washington DC und US-amerikanische Geldgeber auch dieses Jahr trotz Coronakrise im Bildungssystem-Reformlabor der ETH Zürich (englische Abkürzung CEMETS) engagieren und ihr Bildungssystem evidenzbasiert verbessern wollen. «Lasst uns die Zusammenarbeit verbessern!», schrieb Renold in den sozialen Medien. 

Jill Biden störte sich an der Chancenungleichheit in den USA  

Das angehängte Foto zeigt die Bruggerin mit der neuen First Lady Jill Biden und der ehemaligen US-Botschafterin für die Schweiz und Liechtenstein, Suzi G. LeVine, anlässlich des Empfangs am 15. September 2014 für Jill Biden, organisiert von der US-Botschaft in Bern. Jill Biden, damals noch Second Lady, interessierte sich vor allem für die Berufsbildung in der Schweiz. 

Die Pädagogin und Lehrerin unterrichtet Englisch an einem Community College, vergleichbar mit einer Berufsfachschule, und hielt am ersten internationalen Berufsbildungskongress in der Schweiz einen Vortrag. Ursula Renold erinnert sich, wie sich Jill Biden an der Chancenungleichheit in den USA störte und vom dualen ­Berufsbildungssystem in der Schweiz begeistert war. 

Das Problem ist laut Ursula Renold unter anderem, dass die Berufsbildung in den USA ein schlechteres Sozialprestige hat als in der Schweiz. Deshalb besuchen dort fast alle Jugendliche die Highschool, aber ein hoher Prozentsatz schliesst sie nicht ab. Das hat zur Folge, dass viele junge Amerikaner und Amerikanerinnen versuchen, sich mit einem oder mehreren – oft sehr schlecht bezahlten – Jobs über Wasser zu halten. 

Erst wenn sie ein bisschen Geld auf der Seite haben, könnten sie sich eine Berufsbildung leisten. Mit 27 Jahren ist das Durchschnittsalter der Studierenden am Community College deutlich höher als an den schweizerischen Berufsschulen, wo es bei 17 Jahren liegt. «Wir forschen und arbeiten daran, die Bildungssysteme so zu reformieren, dass die Jugendlichen nicht nur in der Schweiz, sondern in möglichst vielen Staaten auch künftig erfolgreich in den Arbeitsprozess integriert werden können», hält die Professorin fest. 

Regelmässiger Austausch mit den Partnern vor Ort 

Seit 2014 leitet Ursula Renold an der ETH verschiedene Projekte mit den USA und pflegt einen regelmässigen Austausch mit den Partnern vor Ort. Insgesamt nehmen dieses Jahr online rund 120 Leute weltweit am Bildungssystem-Reformlabor CEMETS teil, darunter 75 Amerikaner – so viele wie noch nie. Sie alle wollen erfahren, wie Berufsbildungsprogramme in den USA initiiert werden können und welche institutionelle Rahmenbedingungen dafür notwendig sind. 

 
Der Bundesstaat Colorado hat inzwischen diesbezüglich eine Vorbildfunktion eingenommen. Hier werden erste Erfolge registriert in den Bereichen Business Administration (KV), Informatik, computergesteuerter Maschinenbau und Gesundheit. Weitere Branchen könnten dazukommen. 

Obwohl die Berufsbildung Sache der einzelnen Bundesstaaten ist, besitzt Ursula Renold gute Kontakte zum nationalen Staatssekretariat für Bildung, wo unter anderem Gelder für Bildungsreformen gesprochen werden können. «Viele unserer Projektpartner in den Bundesstaaten haben bereits gute Kontakte zum Team Biden», fährt Renold fort. 

«Solange die Amerikaner fit sind, wollen sie arbeiten» 

Die Bruggerin sieht in Jill Biden eine wertvolle Verbindungsperson zum Berufsbildungsthema in den USA. Die First Lady sei eine sehr engagierte und authentische Bildungsexpertin. «Das wird den fünf erwähnten Staaten helfen. Wie gross Bidens Fussabdruck schliesslich sein wird, ist natürlich noch offen», fasst Ursula Renold zusammen. 

Sie könne sich aber vorstellen, dass der Fokus auf nationaler Ebene verstärkt auf die Berufsbildung gelegt werde. Und: «Es wäre schön, Jill Biden wieder persönlich zu treffen.» Da es noch ein langer Weg ist, das duale Berufsbildungssystem in den USA im grossen Stil zu etablieren, sind für Ursula Renold gerade solche Kontakte zu namhaften Persönlichkeiten unverzichtbar. 

Dass die 69-jährige First Lady weiterhin als Lehrerin am Community College arbeiten will, kann Ursula Renold verstehen: «Die Amerikaner haben eine andere Einstellung zum Alter. Solange sie fit sind, wollen sie arbeiten.» Das habe auch mit den im Vergleich zur Schweiz schlecht ausgebauten Sozialversicherungen zu tun. Im Jahr 2012 verbrachte die Bruggerin selber ein halbes Jahr an der Harvard Universität in Boston. Damals war ihr Professor 76-jährig und seine ebenfalls arbeitende Ehefrau 72-jährig.