Diese Wettingerin kämpft gegen sexistische Plakate – und wünscht sich ein nationales Gesetz

«Ich habe genug von diesem unterschwelligen Sexismus, dem wir tagtäglich begegnen. Ich würde das meinen beiden Töchtern gerne ersparen.» Das sagt Shira Lüthi, die vor zwölf Jahren der Arbeit wegen von Israel nach Wettingen kam. Bei ihrer vorläufig letzten Stelle hatte die Informatikerin mit Sexismus zu kämpfen, erzählt sie. Und berichtet von mehreren Beispielen, eines davon: Ihr sei bereits in ihrer ersten Schwangerschaft klar gemacht worden, dass man nach der Geburt nicht mehr mit ihr rechne.

Shira Lüthi hat nun ein besonderes Augenmerk auf unterschwellig sexistische Werbung gelegt und will diese aktiv bekämpfen. «Solche Werbungen beinhalten oft die Botschaft, welche Rollen Mann und Frau in der Gesellschaft einzunehmen haben», sagt sie. Eine hat sie derzeit besonders im Fokus: In einer Vitrine in der Badener Bahnhofsunterführung bei der Velostation werden in sogenannten Slides wechselnde Sujets von derselben Firma gezeigt.

Die in Baden sesshafte Marketing-Agentur «SR Media» macht darin Werbung für ihre digitalen Lösungen. Auf einem der Bilder wird eine Frau von hinten gezeigt, mit einem Tablet in der Hand. «Als Informatikerin fallen mir Software-Werbungen sowieso immer sehr schnell auf», erklärt Lüthi. Hier fiel ihr Blick aber noch mehr auf den Po der Frau.

Auf dem nächsten Bild ist nur der Schatten eines Mannes zu sehen, der nicht so stark im Zentrum steht wie die Frau. Er blickt über die Stadt Baden.

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© Britta Gut

Lüthi schliesst daraus: «Die Frau wird als Objekt dargestellt, der Mann als Visionär.» Das zeige ein grundlegendes Problem in der Werbeindustrie auf: die Festigung von Stereotypen. «Wenn beide gleich dargestellt worden wären, dann hätte ich kein Problem damit», betont sie.

Auch die Entfernung der Casino-Plakate gefordert

Lüthi war sich nicht ganz sicher, ob sie nicht vielleicht doch überreagiere. Also zeigte sie das Sujet mit der Frau ihren Freundinnen: «Durchs Band erwähnten alle, dass ihnen als Erstes der Po auffällt.» Das veranlasste sie dazu, «SR Media» ein geharnischtes Mail zu schreiben. Rund zwei Wochen später erhielt sie Antwort. «Den Vorwurf des Sexismus weisen wir entschieden zurück», betont die Firma darin – und bestätigt das auch gegenüber der AZ.

Heutzutage werde dieser Begriff je nach Definition ziemlich eng oder ziemlich offen ausgelegt. Die Agentur könne nicht nachvollziehen, wo Shira Lüthi in der Werbung eine Herabwürdigung von Frauen sehe. Eine einfache Google-Suche oder die aufgeführten Beispiele im Kriterienkatalog der Stiftung Terre des Femmes zeige tatsächliche Beispiele von sexistischer Werbung. «Unsere Werbung ist nicht einmal annähernd damit vergleichbar», schreibt die Firma weiter.

Der Mann werde auch nicht als Visionär dargestellt. Wer genauer hinschaue, sehe den Slogan: «Wer sucht, der findet». Dementsprechend solle der Umriss nicht visionär, sondern eher suchend wirken. «Die Frau ist in keiner anzüglichen Pose und wird auch nicht durch einen dummen Slogan abgewertet.» Natürlich sei die Frau jung und attraktiv, «aber wir reden hier von Werbung».

Mit dieser Antwort gibt sich Lüthi nicht zufrieden. Sie fordert, dass die Werbung entfernt wird. Ihrer Meinung nach fällt diese in die graue Zone, «genau weil sehr breit definiert werden kann, was sexistisch ist und was nicht». Die Schweizer Lauterkeitskommission hat Grundsätze für die Bewertung von geschlechterdiskriminierender Werbung festgelegt.

Lüthi ist aber der Meinung, dass vor allem der Kriterienkatalog von Terre des Femmes, der engere Grenzen steckt, ihre Wahrnehmung bestätige: «Wenn eine Person nur auf ein Körperteil reduziert werde, zum Zweck, etwas zu verkaufen, dann ist das nicht menschenwürdig» – auch wenn die Frau angezogen sei.

Shira Lüthi geht eine andere Werbung ebenso gegen den Strich: In derselben Unterführung ein paar Meter weiter hängt auch ein Plakat des Grand Casino Baden, dessen Kampagnen immer mal wieder polarisieren. So wurde das Casino wegen eines Plakats auch schon von der Lauterkeitskommission gerügt. «Mehr kann diese Kommission aber gar nicht ausrichten», sagt Lüthi. Auch vom Grand Casino hat sie die Entfernung der Plakate der aktuellen Kampagne gefordert.

Die Plakatwerbung des Grand Casino Baden.

Die Plakatwerbung des Grand Casino Baden. © Britta Gut

«Sexistische Werbungen verletzen nicht nur meine Gefühle als Frau, sondern auch den guten Ruf Ihres Geschäfts», schrieb sie dem Marketingverantwortlichen Beat Lehmann. Frauen ihrer Generation würden sich nicht mehr als Dekoration sehen, weshalb die Werbung an die heutige Zeit angepasst werden sollte.

Das Casino erklärt die Kampagne damit, dass «lebensfrohe Menschen einen gemeinsamen Abend beim Spielen, Dinieren und im Eventbereich des Grand Casino Baden verbringen und die Models auf den Bildern dabei zeitgemässe und, wie bei einem Abendbesuch in einem Casino üblich, von einem gewissen Chic geprägte Kleidung tragen.

«In dieser Kampagne werden Männer und Frauen absolut gleichwertig dargestellt und das in konkreter Verbindung mit unserem Produkt – also in vollständiger Übereinstimmung mit allen Grundsätzen», so Lehmann zur AZ.

Neu wird ein QR-Code zur Meinungsbildung integriert

Für «SR Media» hingegen ist es das erste Mal, dass sich jemand über ihre Werbung auf diese Art und Weise aufregt. Die Firma könne Verständnis dafür aufbringen, dass Frau Lüthi als Informatikerin in einer männerdominierten Branche besonders sensibilisiert sei. Allerdings entspreche ihre Ansicht «wohl kaum der Mehrheitsmeinung», schreibt das Unternehmen der AZ. Um diese Vermutung zu überprüfen, werde in den nächsten Tagen eine Umfrage mit QR-Code in die Werbung integriert, wo Passanten ein Feedback geben können.

Shira Lüthi wünscht sich ein Gesetz auf Bundesebene, damit solche Werbung ganz aus dem öffentlichen Raum verschwinden. Die Wettinger Nationalrätin Yvonne Feri (SP) hatte deshalb schon 2012 eine Interpellation eingereicht. Doch der Bundesrat antwortete, dass das Thema sexistische Werbung in der Schweiz der Selbstkontrolle und Selbstregulierung der Werbe- und Kommunikationsbranche überlassen werde. «Wenn ich aber diese Werbungen in der Unterführung anschaue, dann habe ich nicht das Gefühl, als ob das tatsächlich funktioniert», findet Lüthi.