
Direktor für Arbeit macht Hoffnung: «Bin optimistisch, dass die Katastrophe am Arbeitsmarkt nicht eintrifft»
Wie sieht derzeit die Lage auf dem Arbeitsmarkt aus?
Trotz der Coronakrise verharrte die Arbeitslosenquote im Juli bei 3,2 Prozent. Die Zahl der bei den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) gemeldeten Arbeitslosen sank im Vergleich zum Juni sogar leicht um 1400. Branchen, die durch die Pandemie am stärksten gelitten haben, erholten sich langsam wieder. Dies zeige sich insbesondere im Gastgewerbe und in der Baubranche, sagte Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit im Staatssekretariat für Wirtschaft, an einer Telefonkonferenz. So sank etwa in der Gastronomie die Zahl der Arbeitslosen um 1900.
Wie geht es nun weiter?
Die Dynamik am Arbeitsmarkt habe sich deutlich belebt, sagte Zürcher. Als Beleg dafür nennt er etwa die Zahl der offenen Stellen, die sich im Juli um knapp 3400 auf 35’300 erhöht hat. Gleichzeitig rechnet Zürcher vor allem saisonal bedingt mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit. Dieser setzt erfahrungsgemäss im September ein. In der Baubranche, im Tourismus oder im Gastgewerbe dürfte dann die Zahl der Arbeitslosen wieder steigen.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) rechnet mit einer Jahresarbeitslosigkeit von 3,8 Prozent. Ist dies realistisch?
In den ersten sieben Monaten betrug die durchschnittliche Arbeitslosigkeit 3 Prozent. Damit der geschätzte Jahresdurchschnitt von 3,8 Prozent erreicht würde, müsste die Arbeitslosigkeit bis Ende Jahr nahezu auf 5 Prozent steigen, sagte Zürcher. Er halte das mit Blick auf die bisherige Entwicklung für kaum realistisch. Die Prognose werde jedoch nicht von der Direktion für Arbeit erstellt, sondern von der Direktion für Wirtschaftspolitik und Konjunktur des Seco. Zürcher scheint also deutlich optimistischer zu sein als seine Kollegen im gleichen Amt. Schon Anfang Juni hatte sich Zürcher ähnlich geäussert. Er halte die aktuelle Prognose für zu pessimistisch.
Welches Szenario ist denn realistisch?
Er sei verhalten optimistisch, dass die Katastrophe am Arbeitsmarkt nicht eintreffe. Ein wichtiger Grund dafür sei die Kurzarbeit, die rege genutzt werde. Zürcher zog einen Vergleich mit der Finanzkrise im Jahr 2009. Damals sei die Arbeitslosigkeit im Jahresverlauf von 3,3 auf 4,4 Prozent gestiegen, der Jahresdurchschnitt habe damals 3,7 Prozent betragen. Das sei der letzte verfügbare Vergleichswert. Nun befänden sich allerdings weit mehr Menschen in Kurzarbeit.
Immer wieder ist von einer drohenden Kündigungswelle oder Massenentlassungen im Herbst zu lesen. Gleichzeitig zeigt sich Boris Zürcher optimistisch. Wie passt das zusammen?
Er könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man sich beinahe eine Kündigungswelle herbei wünsche, sagte Zürcher mit Blick auf entsprechende Medienberichte. «Insgesamt fehlen uns handfeste Indikatoren, die auf eine Kündigungswelle im Herbst hindeuten würden», sagte Zürcher. Damit sei nicht ausgeschlossen, dass die Zahl der Kündigungen noch deutlich steige. Derzeit sehe er jedoch keine Anzeichen, die solch spekulative Äusserungen stützen würden. Er wolle weder Schwarzmalerei betreiben, noch schönfärberische Aussagen machen.
Wie hat sich die Kurzarbeit entwickelt?
Die aktuellen Zahlen zur Kurzarbeit stammen aus dem Mai. Damals waren knapp 891’000 Personen davon betroffen. Im April lagt die Zahl mit 1,08 Millionen deutlich höher. Zürcher geht davon aus, dass im April der Höhepunkt erreicht worden ist. Auch die Zahl von Kurzarbeit betroffener Betriebe sank um 21’100 auf knapp 110’000.
Wie viele Firmen haben Kurzarbeit sozusagen auf Vorrat beantragt?
Im Mai wurden Gesuche für 1,97 Millionen Arbeitnehmer gezählt, effektiv wurde aber nur für 891’000 Kurzarbeit tatsächlich auch abgerechnet. Damit beträgt der Anteil 47 Prozent, also weniger als die Hälfte Viele Unternehmen hätten aufgrund der Unsicherheit im Frühling Kurzarbeit beantragt, das Instrument dann aber nicht in Anspruch genommen, sagte Zürcher.
Ist nicht davon auszugehen, dass viele Mitarbeiter, die in Kurzarbeit sind, später entlassen werden?
Das sei derzeit noch nicht klar, sagte Zürcher. «Um das abschätzen zu können, fehlen handfeste Erfahrungswerte aus der Vergangenheit». Optimistisch stimmt Zürcher, dass sich viele Unternehmen während der Coronakrise gut geschlagen haben. Insbesondere für im Inland tätige Unternehmen entspanne sich die Lage.