
E-Sport: (k)ein Ersatz für «richtigen» Sport – MIT AUDIO
Pascal Kamber: Champions-League-Final mit dem Klub meines Herzens. Es steht 1:1, die Nachspielzeit läuft. Mein Mitspieler lanciert einen letzten Angriff über die linke Seite und flankt scharf in den Strafraum. Ich steige hoch und köpfe den Ball wuchtig in die Maschen. 2:1, kurz darauf pfeift der Schiedsrichter ab. Der Henkelpott gehört mir. Die Gefühle sind unbeschreiblich, obwohl sie mit der Realität wenig gemein haben. Schliesslich bin ich kein Starstürmer, sondern bin bei der schreibenden Gilde «unter Vertrag». Aber das Erlebnis auf meiner Playstation-Konsole ist trotzdem genial. Wo sonst kann man im Alltag Vergleichbares erleben? Deshalb gefällt mir E-Sport.
Melanie Gamma: Es freut mich für dich, dass du in Corona-Zeiten eine Alternative gefunden hast, Sport zu machen oder zu schauen. Für mich ist das nichts. Ich weiss nicht, wann ich das letzte Mal eine Konsole oder etwas ähnliches in den Händen gehalten habe. Das war wohl zu Studenten-WG-Zeiten, als wir hin und wieder auf der Wii einen Tennismatch austrugen. Mein Teamsport ist derzeit Unihockey mit meinen Mädels im Garten oder «Tischfussball» im Keller. Bildschirmzeit habe ich mit Homeoffice und Videokonferenzen genug, da muss es nicht noch E-Sport sein.
Pka: Zugegeben, die Konsole steht bei mir auch schon länger still. Und wenn ich jetzt die Wahl habe zwischen einer Jogging- oder Bikerunde und einem virtuellen Fussballspiel, entscheide ich mich meistens für Ersteres. Eine Game-Session als Ablenkung vom beruflichen Alltag muss aber nicht zwingend unproduktiv sein: Es gibt eine Vielzahl an Strategiespielen, die das Mitdenken fördern – Stichwort Fortnite.
Gam: Auch bei Strategiespielen bin ich eher konservativ unterwegs. Mir ist es lieber, mit Menschen am Tisch zu sitzen für ein Brett- oder Kartenspiel, als mich online mit andern im Schach zu messen oder zu jassen. Momentan beneide ich die E-Sportler aber ein wenig. Sie dürfen ihre «Wettkämpfe» und Trainings trotz Corona-Krise durchführen, oder? Social Distancing macht man in der virtuellen Sportwelt ja automatisch.
Pka: Das ist definitiv so, Corona-technisch muss man sich beim E-Sport keine Sorgen machen. Im Gegenteil: Das «Zocken» stellt einen perfekten Zeitvertreib in den eigenen vier Wänden dar – dort, wo man sich laut Bundesrat ja jetzt aufhalten soll. Das haben auch verschiedene Sportveranstalter kapiert und bieten nun ihren Fans als Trostpflaster für die vielen abgesagten Events virtuelle Wettkämpfe für jedermann an. Von Formel-1-Rennen über Tour-de-Suisse-Etappen bis hin zu Fussball-Bundesligaspielen ist für jeden Geschmack etwas dabei. Dabei kann man sich erst noch mit den Profis messen.
Gam: Profis – die soll es im E-Sport ja tatsächlich geben. Solche, die täglich bis zu zehn Stunden «trainieren», wenn man Gamen als Training bezeichnen kann. Die sich in Camps treffen und an ihrem Können und an Strategien arbeiten. Die sahnen dann an Turnieren Preisgeld ab. Wäre ich Profifussballer, fände ich die Vorstellung befremdend, dass einer fürs Online-Kicken einen Spielervertrag hat, ein monatliches Gehalt kriegt und mit seinem Team Kohle kassiert. Du wirst sehen, Geld regiert auch bald diese Sportwelt – und irgendwann kommt der erste Dopingfall im E-Sport.
Pka: Leider ist Doping bereits im E-Sport angekommen. Es gab Fälle, da haben Spieler auf ein Mittel zurückgegriffen, das bei der Behandlung von ADHS eingesetzt wird. Ich denke, zumindest hier sind wir uns einig: Doping geht nicht. Nie. Etwas anders sehe ich die Sache mit dem Preisgeld: Anscheinend muss ein Markt vorhanden sein, ansonsten wäre nicht so viel Geld im Spiel. Davon profitieren nicht nur die Gamer, sondern auch Klubs, Spiele-Hersteller, Event-Organisatoren oder Medienunternehmen. Und die «echten» Profis nagen auch nicht am Hungertuch, obwohl sie zum Beispiel «nur» Fussball spielen.
Gam: Ich frage mich, was das für Leute sind, die E-Sportler sponsern. Die würden ihr Geld besser in «echte» Sportler investieren statt in solche, die mit der Konsole in der Hand auf dem Stuhl nur pseudoschwitzen. Gerade jetzt sehen wir, wie wichtig Bewegung ist. Gäbe es weniger Menschen, die wegen Bewegungsmangel Bluthochdruck oder Diabetes kriegen, wären wir von einem Virus wie Corona weniger verwundbar.
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