
Ein spezielles Fundstück von 1945 hinter der Tapete


Mit einem Haufen zerknittertem Zeitungspapier kommen zwei Mitarbeiter der Zofinger Firma Kunz Holzbautech auf die Redaktion des Zofinger Tagblatts. Die Zeitung ist vergilbt, die Buchstaben in der heute nur noch schwer zu lesenden Fraktur-Schrift. «Diese Zeitung haben wir bei der Renovation eines Hauses an der Rathausgasse gefunden», meinen sie und fügen an, vielleicht könne die Redaktion ja noch etwas davon gebrauchen. Zu gebrauchen sind die Zeitungsseiten nicht mehr. Zu zerknittert und zerrissen sind sie. Ausserdem ist die ZT Medien AG im Besitz eines Zeitungsarchivs, das bis ins Jahr 1896 zurückreicht. Dieses Archiv war beim Hochwasser im Jahr 2017 zwar in Mitleidenschaft gezogen worden, mittlerweile sind die Archivbände aber wieder alle restauriert. Ein Blick in den Band aus dem November 1945 – aus diesem Monat stammen die Zeitungsseiten – zeigt eine Region Zofingen, die kurz vor den Gesamterneuerungswahlen in den Gemeinden steht. Die Seiten sind gefüllt mit Wahlempfehlungen. Neben den Parteien sagen auch «viele Wähler», «kirchliche Wähler» oder «viele fortschrittliche Wähler», welche Männer wieder in den Gemeinderat zu wählen sind. Zur Wahl stehen nur Männer – logisch. Das Stimm- und Wahlrecht für Frauen wird erst 27 Jahre später eingeführt.
Benzin und Brot sind noch rationiert
Das Leben in der Region Zofingen ist im November 1945 noch stark von der Kriegswirtschaft geprägt. So gibt es beispielsweise noch eine Brotrationierung. Ebenfalls rationiert ist Benzin. Allerdings wird im November 1945 mitgeteilt, dass nun alle – unabhängig vom Beruf – ein Auto einlösen können. Voraussetzung sind erstens gute Pneus und zweitens genügend Benzin. Dieses erhalten aber nur gewisse Personengruppen zugeteilt. Per 1. Januar 1946 wird jedoch eine Grundration von 20 Litern Benzin pro Monat für alle angekündigt. Das Benzin kostet zu jener Zeit 1.25 Franken. «Eine Preissenkung ist zu erwarten.» Zum Vergleich: Der Eintritt an die «Bunte Vorstellung» des Turnvereins und Damenturnvereins in Murgenthal kostet 1.50 Franken.
Zofinger Tagblatt als Isolationsmaterial
Zu dieser Zeit also, als weder Brot noch Benzin im Überfluss verfügbar waren, wurde im Haus an der Rathausgasse 17 gebaut und dabei die alten Ausgaben des Zofinger Tagblatts als Isoliermaterial verwendet. Wann genau die Zeitungen an die Wand kamen, ist im Nachhinein nicht feststellbar. Vielleicht sind die Zeitungsseiten erst aufbewahrt worden, bevor sie als Baustoff endeten. Die Untersuchungen der Kantonsarchäologie konnten jedenfalls keine grossen Bautätigkeiten in den Jahren 1945 und 1946 feststellen. Seine definitive Grösse hat das Gebäude Ende des 18. Jahrhunderts erhalten. Im 20. Jahrhundert sei vor allem das Erdgeschoss verändert worden. Vielleicht hatten die Bewohner des Hauses auch einfach kalt und wollten mit den Zeitungen Ritzen stopfen, durch die der kalte Winterwind zog. In einer Seitenwand unter dem Dach haben die Arbeiter die Zeitungen gefunden. Zugedeckt mit einer Schicht Gips und an gewissen Stellen sogar noch abgedeckt mit einer Tapete. Den Fund konnten die Handwerker machen, weil das Haus Rathausgasse 17 momentan komplett saniert wird.
Renovation nach neuesten Vorschriften
Seit April 2017 wird am Gebäude gebaut. «Das Haus war einsturzgefährdet», sagen die Hausbesitzer Theres und Meinrad Bernhard. Neue Betonstützen verstärken nun die alten Mauern und stabilisieren so das Gebäude. Aussen bleibt die Fassade erhalten. Die ausgewaschenen Fenstersimse und Stürze aus Sandstein sind bereits renoviert. Im Innern gibt es eine neue Gebäudestruktur: Eine Treppe, die den feuerpolizeilichen Vorschriften entspricht, zieht sich vom Keller bis zur Maisonette-Wohnung unter dem Dach. Ein Lift macht das Gebäude rollstuhlgängig, das Haus entspricht neu den Vorschriften zur Erdbebensicherheit.
Deckenbalken stammen aus dem Jahr 1305
«Die Stadtbildkommission hat genau vorgeschrieben, was wir tun dürfen, und was nicht», sagen die Eigentümer. So blieben beispielsweise die alten Deckenbalken erhalten, obwohl diese heute nicht mehr tragend sind. Die Balken im ersten Obergeschoss sind wichtige Zeitzeugen. Sie stammen aus dem Jahr 1304/1305. Die Kantonsarchäologie geht davon aus, dass sie beim Bau des ursprünglich zweistöckigen Hauses verwendet worden sind. Der Kernbau des Hauses an der Rathausgasse 17 stammt somit frühestens aus dem Jahr 1305 und gehört zu den ältesten Gebäuden in Zofingen. Diese Balken zeigen auch, dass das Haus dem Stadtbrand von 1396 nicht zum Opfer gefallen ist. «Es wird immer deutlicher, dass entgegen den archivarischen Überlieferungen nicht die ganze Stadt niedergebrannt ist. Womöglich waren einzelne Baukomplexe stärker betroffen als andere», hält dazu die Kantonsarchäologie fest.
Fundstücke aus Alice Blums Wollladen
Im Erdgeschoss soll nach Abschluss der Renovationsarbeiten im nächsten Frühjahr wieder ein Ladengeschäft oder Geschäftslokal entstehen. «Früher hatte Alice Blum ihren Wollladen in diesem Gebäude», erzählen die Eigentümer. Zuvor war die Schuhmacherei von Alice Blums Vater dort untergebracht. So erstaunt es auch nicht, dass bei den Renovationsarbeiten nicht nur alte Zofinger Tagblätter gefunden wurden. Auch Wollknäuel und eine Preisliste für Schuhreparaturen entdeckten die Handwerker. «Diese Fundstücke werden wir im Haus ausstellen», sind die Eigentümer überzeugt.
Von den drei Wohnungen, die im Gebäude untergebracht werden, sind zwei schon fast fertig. Die Küchen wurden eingebaut. Es fehlen noch einige Arbeiten in den neuen Bädern. Die Balkone sind allerdings noch im Rohbauzustand. Ganz anders sieht es unter dem Dach aus, wo eine zweistöckige Maisonette-Wohnung entsteht. Dort sind auch die Zeitungen gefunden worden. Unter dem Dach geht der Blick noch hoch bis unter die Dachziegel, überall im Boden öffnen sich Löcher und an der Wand und teilweise auch an den Deckenbalken sind Tapetenreste zu erkennen. Bis im nächsten Frühjahr wird aber auch hier eine moderne Wohnung entstehen – die dann gemietet werden kann.