
Ein Stadt-Rundgang macht die Armut greifbar
Hinweis
Für die «Voll unterschti»-Rundgänge sind noch Darsteller für die Figur des Amar gesucht. Mehr Infos bei Debora Sacheli, ds@caritas-aargau.ch
«Wenn ich dich treffe, jammerst du immer. Was ist denn dein Problem?», fragt Elin. «Mein Problem, das kann ich dir gerne zeigen. Ich habe einfach nirgends Ruhe», sagt Amar. Die beiden jungen Schauspieler gehören zum Stadtrundgang, den der von der Caritas geführte kirchliche regionale Sozialdienst Aargau West (KRSD) in Zofingen anbietet. Bei diesem Stadtrundgang wird für einmal nicht die Schönheit der Thutstadt bewundert. Die jugendlichen Teilnehmer sollen konkret erfahren, was Armut bedeutet.
Jeder Zehnte in der Schweiz ist von Armut betroffen
Zehn Prozent der Schweizer Bevölkerung sind arm. «Man geht von 600 000 Personen aus, die arm sind, und weiteren 500 000 Personen, die knapp über der Armutsgrenze leben», sagt Debora Sacheli vom KRSD. Die Sozialarbeiterin nimmt die Jugendlichen auf den Stadtrundgang zum Thema Armut mit. Doch was bedeutet Armut? Zehn Jugendliche nehmen am Stadtrundgang teil – einer davon müsste statistisch gesehen von Armut betroffen sein.
Greifbar wird das Thema Armut beispielsweise anhand eines Wohnungsgrundrisses, der auf einer Plane aufgezeichnet ist. Drei Zimmer, Küche, Bad. Das ist das Zuhause von Amar, der als Flüchtling mit F-Ausweis in einer kantonalen Unterkunft wohnt. Doch die drei Zimmer teilt seine fünfköpfige Familie mit einer weiteren Familie. Die Teilnehmer des Rundgangs werden zu den Bewohnern der Dreizimmerwohnung und schnell wird klar, dass es hier tatsächlich nie ruhig ist – und es entsprechend schwierig ist, zu lernen und sich auf Prüfungen vorzubereiten.
Die gedrängten Verhältnisse in der Wohnung sind nur das eine. Auch das Geld spielt immer wieder eine Rolle. Neun Franken bekommt Amar pro Tag. Damit muss er Essen kaufen, aber auch Freizeitangebote bezahlen. Der Jahresbeitrag für den Fussballclub liegt da nicht drin – auch für den Eintritt in die Badi reicht es nicht. Denn Amar hat noch eine Einkaufsliste dabei: Brot, Öl, Bleistifte, OBs und ein Geschenk für den kleinen Bruder, der morgen Geburtstag hat. Die Gruppe entscheidet sich darum, gemeinsam mit Amar einkaufen zu gehen. Schnell stellen die Jugendlichen fest: Neun Franken reichen dafür nicht. Statt der Packung Gummibärli kaufen sie nur einen Lolipop, statt eines grossen Brotes gibt es nur ein kleines Mütschli. Von den anderen Sachen kaufen die Jugendlichen nur das günstigste Produkt. Trotzdem müssen die Bleistifte im Laden zurückbleiben.
Zufrieden sein mit dem, was man hat
Die «Voll Unterschti»-Rundgänge sind im Jahr 2020 im Aargau an verschiedenen Orten, unter anderem in Zofingen, gestartet. Nun werden sie für den Kanton Solothurn adaptiert. Die Inhalte der Rundgänge basieren auf Erfahrungen aus der Sozialberatung und sind von einem Projektteam bestehend aus Sozialarbeitern der Caritas und einer künstlerischen Leitung adaptiert worden. Geeignet sind sie für Jugendliche zwischen 14 und 25 Jahren, beispielsweise Gruppen aus dem Religonsunterricht.
Zum Abschluss des Rundgangs tauschen sich die Jugendlichen aus. Was haben sie vom Stadtrundgang mitgenommen? «Ich habe schätzen gelernt, was ich habe, und werde nicht mehr so viel meckern», sagt ein Teilnehmer. Ein anderer ergänzt: «Ich werde versuchen zu sparen, so viel es geht.» Zum Schluss legen die beiden Schauspieler ihre Rollen ab und wenden sich direkt an die Jugendlichen und machen ihnen bewusst: «Die Menschen, wie wir sie heute gespielt haben, gibt es so ähnlich in der Realität. Wir haben aber das Privileg, nach 90 Minuten unsere Rolle verlassen zu können.»