
Ein Strohdach aus ungarischem Schilf



Heute erreicht die letzte sieben Tonnen schwere Schilflieferung das Salzmehus in Kölliken. Es wird dann eine 1200 Kilometer lange Reise aus dem Osten Ungarns hinter sich haben. In einem eigens für den kultivierten Schilfanbau ausgelegten Moor am Rande der kleinen Stadt Balmazújváros.
«Es ist teurer als anderswo», sagt Andreas Bergamini. Seit Jahrzehnten ist er der Spezialist für Strohdächer, in der Deutschschweiz gar der letzte überhaupt. «Ungarn ist weitherum bekannt für seinen hervorragenden Schilfanbau.» Es wird einmal im Jahr geschnitten und in vorsichtig gelegten Bündeln in den Werkhof gebracht. Dort wird es behutsam aufgefächert, von Hand gewaschen, sortiert und nach Grösse geordnet, zu pingelig geraden Bündeln gepackt. Geknickte Schilfhalme dürfen nicht mit. «Die aufwendige Verarbeitung macht das Stroh aus Ungarn nicht nur sehr schön, sondern auch langlebiger», erklärt Bergamini. Die geraden Bündel garantieren die problemlose Verarbeitung auf dem Salzmehus von Kölliken.
Neues Stroh kommt aus England, das alte nach Suhr
Auf dem Dach werden die unzähligen Bündel Stück für Stück lose zwischen einem Draht und einem darunterliegenden Balken befestigt. Anschliessend werden die Bündel geöffnet und gleichmässig auf dem Dach verteilt, bevor sie unter dem Draht richtig festgezurrt werden. Ungleichmässigkeiten in den Bündeln würden sich bei diesem Arbeitsschritt verstärken und könnten schlimmstenfalls sogar zu undichten Stellen im Dach führen.
«Auch deshalb ist es wichtig, dass wir für den Erhalt der Strohdachhäuser auf gutes Schilf zurückgreifen können», erklärt Spezialist Bergamini. Im Nachhinein Fehler wie undichte Stellen zu reparieren sei mühsam und teuer. Schilf verwendet er aus ähnlichen Gründen: Es ist deutlich stabiler als Stroh. Stroh kommt im Salzmehus nur zuunterst zum Zuge. «Damit das Haus von innen so aussieht wie einst.» Auch das Stroh hat einen besonderen Herkunftsort. «Das bestellen wir in England, denn dort wird es länger als hier.»
Und was passiert mit dem alten Stroh und Schilf? Es ist verbraucht, modrig, über Jahrzehnte von Wetter und Jahreszeiten gezeichnet. «Das transportieren wir in sieben Mulden nach Suhr, wo es bei Hängärtner kompostiert wird», erklärt Andreas Bergamini. Bereits wieder montiert werden die Sprinkler auf dem Dach, die sicherstellen, dass auch das neue Schilf keinem Feuer zum Opfer fällt. «Diese Massnahme kenne ich schweizweit nur von zwei der drei Strohdachhäuser in Kölliken», verrät Bergamini.
