
Eine Familie – ganz mit dem Dorf verwoben
Am Sonntag, 15. September 1946, stieg auf der Station Brittnau-Wikon ein amerikanischer Soldat aus dem Drei-Uhr-Zug. Er stellte sich beim Stationsvorstand als Kenneth Urwiller aus St. Michel/Nebraska vor. Er kam aus Bayreuth, wo er der amerikanischen Besatzung angehörte – und war auf der Suche nach seinen Vorfahren in Brittnau.
Nachträgliche Abklärungen im Gemeindearchiv Brittnau ergaben, dass er von den Urwyler mit dem Zunamen «Organists» abstammte. Drei Generationen Urwyler übten nacheinander dieses Amt in der Kirche Brittnau aus. Hans Ulrich Urwyler (1788) war ausserdem Bäcker, Krämer, Lehrer, Klavierbauer, Gemeindeschreiber und Gemeinderat. Dessen erster Sohn Samuel (1813) war ebenfalls Gemeindeschreiber, der zweite Sohn Jakob (1815) wurde Bäcker und Organist und war zudem ein begabter Musiker. Vor seinem Haus auf dem Schürberg versammelten sich jeweils die Nachbarn, um seinem Klavierspiel zu lauschen. Auch Jakobs Sohn Albert (1855) bediente die Orgel in der Kirche.
1984 erkundigte sich auf der Gemeindekanzlei Brittnau ein Irvin Urwiller aus Amerika wieder nach seinen Vorfahren. Man verwies ihn an Arnold Urwyler im Geissbach, weil dieser als erster Urwyler im Telefonbuch aufgeführt war. Im Gespräch miteinander stellte sich heraus, dass ihre Urgrossväter Brüder waren. Jener von Arnold Urwyler hatte zwei Söhne, von denen Jakob (1809) nach Amerika auswanderte.
Samuel, Fred und Jacob Urwiller als Pioniersiedler
In der Mitte des 19. Jahrhunderts verloren viele bisherige Handweber ihr Einkommen durch die maschinelle Produktion. Sie wurden in ihrer Heimatgemeinde «armengenössig» und bevormundet, damit sie sich nicht verschulden konnten. So auch jener Jakob Urwyler. Er erhielt von Schwiegervater Lerch (Vrenihänsels) «ein für alle Mal» 2611 Franken als Erbanspruch ausbezahlt. Damit machte sich das Ehepaar Jakob Urwyler-Lerch mit den Kindern Jakob, Samuel und Friedrich 1854 auf den Weg nach Rochester, 400 Kilometer von der Küste entfernt, damit eine unerwünschte Rückkehr schwieriger wurde. Die Familie Urwyler liess sich darauf in der Nähe von Sodtown/Nebraska im Zentrum der USA nieder. Im Internet werden Samuel, Fred und Jacob Urwiller als Pioniersiedler in diesem Gebiet genannt. Erstaunlich in dieser Geschichte ist die über Generationen bewahrte Beziehung zur Heimatgemeinde.
Erste Ausgabe enthielt viele Inserate, aber wenig Text
Zu den Organists-Urwyler gehörte auch Albert Urwyler-Haller (1893–1965). Als gelernter Schriftsetzer arbeitete er 1931 beim Zofinger Tagblatt, als er vom Verkauf der Druckerei Eduard Loosli (Sissach) vernahm, die 1929 einem Brand zum Opfer gefallen war. Albert Urwyler sah eine Chance – und packte sie durch den Erwerb der Druckereiausrüstung. Der Aufbau einer Kundschaft in dieser Krisenzeit erwies sich aber als sehr schwierig.
Als 1932 in Brittnau die Dorfstrasse ausgebaut wurde und im Zentrum ein neues Geschäftshaus entstand, übernahm Albert Urwyler den Maschinenpark aus Sissach und richtete damit im ersten Stock eine Druckerei ein. Am
28. Oktober 1932 erschien die erste Nummer des «Wiggertaler Inseraten-Anzeigers». Das Blatt mit wenig Text und vielen Inseraten gelangte als Gratiszeitung in alle Haushaltungen von Brittnau, Strengelbach und Vordemwald.
Schon ein Jahr später musste die Wochenzeitung den Vertrieb einstellen, die Betriebseinrichtung übernahm die Konkurrenz Zofinger Tagblatt. Albert Urwyler arbeitete dort über das Pensionierungsalter hinaus wieder als Handsetzer. Seiner Ehe mit Marie Urwyler-Haller entsprossen die Söhne Albert (1926, siehe dazu auch Artikel unten) und Hans (1930). Vater Albert hätte Albert Junior am liebsten als Schriftsetzer am Setzkasten gesehen.

Zum Gedenken
Am 20. Dezember 2019 hielt Pfarrer Klaus-Christian Hirte in der reformierten Kirche Rheinfelden den Trauergottesdienst für den am 12. Dezember verstorbenen Albert Urwyler-Geiser. Er kenne ihn seit zehn Jahren als absolut vertrauenswürdigen, kompetenten und korrekten Menschen. Albert Urwyler habe man sich jederzeit ohne Bedenken anvertrauen können, weil er loyal und integer war, über jeden Zweifel erhaben und immer korrekt. Wenn man an ihn denke, werde deutlich, wie viel davon in der heutigen Gesellschaft verloren gegangen sei. Albert Urwyler habe über viele Gaben verfügt – und diese auch im öffentlichen Bereich eingebracht. Er sei 24 Jahre nebenamtlicher Verwalter des damaligen Bezirksspitals Rheinfelden gewesen, habe in der Baukommission am Um- und Ausbau des Spitals massgeblich mitgewirkt und im Stiftungsrat der MBF Stein die Finanzen betreut. Er sei bis zuletzt immer hilfsbereit gewesen. Wenn auch wenig Zeit für die Familie verblieb, habe ihr doch stets die erste Priorität gegolten: eine glückliche Ehe mit Margrit, das gute Verhältnis zu den Söhnen und Schwiegertöchtern und die hohe Achtung der Grosskinder, denen er jedes Jahr zum Geburtstag schrieb. Unvergesslich bleibe die goldene Hochzeit 2001 in Brittnau und die diamantene 2016 in Rheinfelden bei ihm daheim, wo er die Stadtmusik dirigieren durfte. Trotz der vielseitigen Ansprüche und Verpflichtungen sei er immer ein bescheidener und liebenswürdiger Mensch geblieben. Albert Urwyler Junior begann seine berufliche Laufbahn mit der Lehre auf der Gemeindekanzlei Brittnau und ist so unbewusst der Familientradition Richtung Gemeindeschreiber gefolgt. Nach dem Lehrabschluss trat er eine Stelle auf dem Hauptsitz der Aargauischen Kantonalbank in Aarau an. 1946 konnte er in die Hypothekarabteilung der Filiale Zofingen wechseln. Zu dieser Zeit bot man ihm die Stelle des Gemeindeschreiber-Stellvertreters in Brittnau an. Er sagte zu, kehrte 1947 wieder in die Kanzlei zurück und absolvierte einen zweijährigen Stipulatorenkurs. Damals näherte er sich Margrit Geiser, die er schon von der Schule her kannte. Im Juni 1951 schloss das Paar in der Kirche Brittnau den Ehebund und folgte danach getreu dem Trauspruch «Dienet einander ein jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat.» So konnten sie sich gemäss ihren Fähigkeiten in der Familie einbringen, eine gute Grundlage für die Ehe. Nach zwei Jahren kehrte Albert wieder in das Bankgeschäft zurück, und zwar nach Rheinfelden in die Aargauische Hypothekenbank. Es sollte ein dauerhafter und erfolgreicher Schritt werden. 1958 konnte das Ehepaar mit den inzwischen zwei Söhnen das selber entworfene Einfamilienhaus am Hoffmann-Merian-Weg beziehen. In der Bank erhielt Albert die Prokura, stieg 1967 zum Niederlassungsleiter und einige Jahre später zum Direktor auf. In dieser Funktion war er der Kopf für die Planung und den Bau des neuen Bankgebäudes, das im Oktober 1979 eingeweiht wurde. Albert Urwyler darf als Ausnahmeerscheinung im Bankgeschäft gelten. Er war kein kühler Erfolgsmanager, sondern ein liebenswürdiger Mensch, korrekt, gerecht und ehrlich. Bis ins hohe Alter blieb er aktiv und interessiert, Müssiggang lag ihm nicht. Pfarrer Hirt schloss den Trauergottesdienst mit einem Zitat des Predigers Salomon: «Ein Mensch, der fröhlich ist und guten Mut hat, ist bei all seinem Tun eine Gabe Gottes.» In diesem Sinn war Albert Urwyler-Geiser ein Geschenk für alle, die mit ihm Kontakt hatten. Kurt Buchmüller