
«Eine solche Strafe geht zu weit»: Kritik an Note 1 für Klimastreik-Schüler
Es ist das Gesprächsthema an Gymnasien landesweit: Schüler, die wegen des Klimastreiks eine Prüfung verpasst hatten, erhielten die Note 1. Der aktuelle Fall aus dem Kanton Waadt beschäftigte am Dienstag auch Gymnasiasten an der Kantonsschule Baden AG.
Die Schüler sitzen am Mittag in der Eingangshalle, essen Pizza und diskutieren über die Strafe: «Wenn wir eine Prüfung gehabt hätten, wäre ich in der Schule geblieben», sagt die 19-jährige Julia, die bereits an Schulstreiks zum Klimaschutz teilgenommen hat. Fabio, ebenfalls 19, widerspricht: «Ich wäre trotzdem hin, ich finde es gut, dass die Schüler ein Zeichen gesetzt haben.» Die Bestrafung des Gymnasiums ist für ihn mehr als fragwürdig.
Das Thema brennt nicht nur Schülern unter den Nägeln. Auf den grossen Zeitungsportalen wurden am Dienstag innert weniger Stunden Tausende Kommentare abgegeben. Von «Die Note 1 ist gerechtfertigt. Egal, für was man schwänzt» über «Die Wahrheit zu sagen, selbst für einen guten Zweck, ist scheinbar nicht möglich» bis hin zu «Peinlich! Was für ein bornierter Rektor! Man kann auch einmal ein Auge zudrücken, wir sind hier nicht in China!»
Die Prüfung verschieben
Ursprung der Debatte sind Schüler des Gymnasiums in Payerne (VD). Sie marschierten am vergangenen Freitag wie Hunderte andere Schweizer Jugendliche für den Klimaschutz – und schwänzten die Schule. Dabei stand in dieser Zeit eine Mathematik-Prüfung auf dem Programm. Der Lehrer bestrafte die Streikenden: Die Abwesenden kassierten eine Eins.
Für den obersten Schulleiter der Schweiz, Bernard Gertsch, ist die Note 1 für den Schulstreik keine gute Idee. «Eine solche Strafe geht zu weit», sagt er. «Es wäre besser gewesen, die Prüfung zu verschieben und mit den Schülern zu sprechen.» Normalerweise sei es mit einer Absenz getan.
Auch Politiker äussern Kritik: «Das ist Pädagogik aus der Mottenkiste», sagt Nationalrat Matthias Aebischer (SP/BE). «Eine Bankrotterklärung für die freie Meinungsäusserung.» Auch seine Generation habe früher während der Schulzeit demonstriert. Ziel der Schule sei es doch, Jugendliche so weit zu bringen, dass sie sich eine eigene Meinung bilden könnten. Das würden sie jetzt tun. Die Demonstrationen zum Klimaschutz seien eine Steilvorlage, um in den Schulen zu diskutieren.
Der Rektor der Schule, Thierry Maire, verteidigt gegenüber «20 Minutes» das Vorgehen. Es handle sich nicht um eine Bestrafung, sondern um die normale Anwendung der Vorschriften. «Das ist die Regel», sagt er. Anders wäre es gewesen, wenn die Schüler um eine Beurlaubung gebeten hätten. «Einige haben das getan. Mit ihnen fanden wir eine Lösung», erklärt Maire.
Einige Schulen erlauben Streiks
Kantone und Schulen handhaben die Streiks, die seit Wochen durchgeführt werden, unterschiedlich. In Zürich, Basel und St. Gallen hat das Schwänzen in der Regel eine unentschuldigte Absenz zur Folge. Luzern weist auf die Jokertage hin, die jedem Schüler zur Verfügung stehen, und Bern setzt auf Kompensation.
Beat Zemp, Präsident des Schweizer Lehrerverbandes, hebt die Schwierigkeiten im Umgang mit den Schulstreiks hervor. Jede Schule habe ihre eigene Absenzenordnung. Der Trend ginge klar hin zu mehr Eigenverantwortung für die Jugendlichen mit Absenzenkontingenten. Das würde in der Regel gut funktionieren, sagt Zemp. Zwar sei die Note 1 eine sehr harte Bestrafung, allerdings müssten die Schulen auch dafür sorgen, dass der Unterricht und Prüfungen ordnungsgemäss durchgeführt werden können.
Weniger kontrovers dürfte die nächste Demonstration werden. Sie findet am 2. Februar in mehreren Städten statt. An einem Samstag – da ist schulfrei.