
Eiskalter Erfolg! Lokale Glacé-Hersteller bieten Nestlé, Mövenpick & Co. die Stirn
Am besten sei die Glacé direkt ab der Maschine, sagt Dominique Mattenberger. Er spricht laut über den Lärm der Eismaschine hinweg, welche die Schokoladen-Milch-Mischung rotierend auf Minus 7 Grad runterkühlt. «Dann ist sie am cremigsten.» Wir stehen in der Patisserie des Hotels Olten am Oltner Bahnhof, wo die Firma eingemietet ist. Seit vier Jahren werden dort nicht mehr Törtchen für Hotelgäste gebacken, sondern die Glacé mit dem neckischen Namen «Kalte Lust» hergestellt.
Bevor sich Dominique Mattenberger der Glacé-Produktion verschrieben hat, war er Koch. Ebenso seine zwei Gründungspartner Darko Bosnjak und Florian Stähli. Letzterer ist der Geschäftsführer von «Kalte Lust» und führt uns durch die verwinkelten Räumlichkeiten, die das Unternehmen im Hotel für sich in Beschlag genommen hat. «Wenn es weiterhin so gut läuft, können wir eines Tages vielleicht in grössere Räume umziehen», sagt er. Verkauft wird die Glacé an den vier Standorten Olten, Zürich, Aarau und Baden. Zwei Drittel des Umsatzes werden aber durch den Vertrieb der Glacé in Becherform sowie durch die Belieferung der Gastronomie erzielt.
Lokale Zutaten und originelle Kreationen
Dass das Geschäft gut läuft, überrascht nicht. In den letzten paar Jahren sind in Schweizer Städten viele neue Gelaterias entstanden. Im Handelsregister gibt es unter Gelateria, Gelati oder Glacé bereits über 60 eingetragene Firmen – viele davon seit weniger als vier Jahren. Die wohlbekannte Gelateria die Berna hat den Trend schon etwas früher erkannt. Die Pralinatos, Winnetous und Cornets von Nestlé sowie Player wie Mövenpick und Emmi bekommen also gehörig Konkurrenz. Die Entwicklung ist vergleichbar wie jene auf dem Biermarkt vor ein paar Jahren, als plötzlich viele Kleinproduzenten auf den Markt drängten. Ihr Markenzeichen: Lokale Zutaten und originelle Kreationen.
Auch «Kalte Lust» setzt auf diese Strategie: Die Gelateria bezieht ihre Biomilch von Jersey-Kühen im Oberaargau, die Aprikosen aus dem Wallis und die Demeter-Erdbeeren ebenfalls aus dem Oberaargau. Im Angebot hat es Sorten wie Kaffee & Guetzli, Whisky, Ingwer und Avocado-Chili-Mais – aber auch gewöhnliche wie Erdbeere, Schokolade, Vanille und Mango. Preis pro Kugel: 3.50 Franken. Das Mangosorbet wird vor unseren Augen gerade hergestellt. Mitarbeiter Jawad Assadi vermixt in einem Behälter geduldig 300 Liter Sorbetbase mit Mangopüree aus Indien.
«Die gewöhnlichen Sorten verkaufen sich immer noch am besten», sagt Geschäftsführer Florian Stähli, der sich ebenfalls als treuer Fan von Schoggi-Glacé outet. Die fett- und proteinhaltige Jersey-Milch als Basis sei dabei besonders cremig. Vegane Sorten sowie zahlreiche Sorbets dürften im Angebot aber nicht fehlen. «Vegane Sorten sind diesen Sommer so beliebt wie noch nie. Besonders an unserem Standort Zürich spüren wir diesen Trend.»
Schweizer Glacé-Kultur im Aufschwung
Andere Glacé-Hersteller können diese Entwicklung bestätigen. Etwa die Gelateria dell’Alpi in Luzern, die deshalb ein Cornet-Rezept ohne Eier im Sortiment hat. Oder die in Zürich ansässige Firma «Gelati 1998», deren schwarzes Schoggi-Sorbet derzeit am besten läuft. «Gelati 1998» verkauft seine Glacé an zwei von vier Standorten in mobilen Eiswagen. Weitere Sorten der Gelateria sind aus hausgemachtem Mohnkuchen, aus Wacholderbeeren – oder aus Honig von der Zürcher Langstrasse. Preis pro Kugel: 3 Franken.
Die drei Glacé-Hersteller aus Olten, Zürich und Luzern kennen sich und tauschen sich hie und da untereinander aus. Als Konkurrenten sehen sie sich dabei nicht, wie Susanne Kissling, Co-Geschäftsführerin von «Gelati 1998», sagt: «Wir arbeiten alle an der Glacé-Kultur in der Schweiz. Diese hat zuletzt grossen Aufschwung bekommen, an Italien oder Deutschland kommen wir aber noch nicht ran. Unser Ziel ist, dass es in jedem Stadtteil eine Gelateria hat – wie bei den Pizzerias. Platz hat es schliesslich genug.» Hausgemachte Glacé kenne man zwar auch von Bauernhöfen und Bäckereien, fügt sie hinzu. Der Fokus auf die Städte sowie auf originelle und vegane Sorten sei jedoch neu.
Unterricht bei italienischen Maestros
Die Gelateria dell’Alpi hat ihre Glacé-Produzenten zu Lernzwecken sogar eigens nach Italien geschickt – an die Gelato University in Bologna. «Dort wurden sie von italienischen Maestros in der Glacé-Kunst unterrichtet», sagt Co-Gründerin Julia Furrer. «Da wir eine kleine Firma sind, können wir neue Sorten relativ schnell entwickeln. Das kam uns jetzt zu Gute. Wegen den fehlenden Touristen mussten wir unser Sortiment leicht anpassen – Matcha und Mango gehen jetzt etwa nicht gleich gut weg.»
Dafür wird im Herbst die Herbstglacé aus Hafermilch, Zimt und Schoggistückchen lanciert. Und im Winter? Was machen Gelaterias eigentlich dann? Die meisten versuchen ihre Mitarbeiter irgendwie zu behalten und weiter zu beschäftigen – «Kalte Lust» verkauft dann zum Beispiel Suppen.
Die Herkunft der kalten Kostbarkeit
Die Italiener haben die Produktion von Speiseeis perfektioniert wie niemand sonst – erfunden haben sie es aber nicht: Einen Vorläufer vom Eis kannte man schon im antiken China, wo Herrscher Diener in die Berge schickten, um Eis zu holen und daraus grosse Lager anlegen liessen. Die kühle Erfrischung – etwa mit Früchten, Honig oder Sirup versüsst – soll später auch bei Arabern, Griechen und Römern beliebt gewesen sein. Mit dem Untergang des Römischen Reiches ging dieses Wissen teilweise jedoch verloren. Erst im 16. Jahrhundert wurde das Speiseeis zu einer italienischen Spezialität – angeblich durch Caterina de Medici, die das Speiseeis von China mitgenommen hatte. Von da an begab sich das Gelato auf seinen Siegeszug um die ganze Welt und wurde allmählich allen Gesellschaftsschichten zugänglich. Seit 2003 gibt es in Bologna sogar eine Gelato-Universität. (gjo)